Die Bedeutung sinkt
Der Zusammenhang zwischen Welthandel und Weltwirtschaftswachstum gibt Ökonomen Rätsel auf.
Der Welthandel wird in der Zukunft immer weniger zum globalen Wachstum beitragen. Mit dieser zunächst aufschreckenden These tritt der britischen Ökonom und ehemalige Vorsitzende der britischen Finanzaufsichtsbehörde (FSA) Adair Turner an die Öffentlichkeit. Er sieht keinen Grund, weshalb der Welthandel weiterhin stärker wachsen soll als das globale BIP. Der abkühlende Welthandel muss jedoch dem globalen Wirtschaftswachstum nicht zwangsläufig schaden, so der Ökonom. Für seine These kann er eine Reihe guter Argumente vorbringen. Jahrzehntelang trieb die Globalisierung den Welthandel stark an. Doch dieser Effekt läuft aus. Denn die Welthandelsintensität hängt stark von relativen Arbeitskosten, Transportkosten, Produktivitätsniveau und Skaleneffekten ab. So sind nach dem zweiten Weltkrieg weltweit Freihandelszonen in Europa, Amerika und Asien sowie bessere Transportwege entstanden. Sie haben seit 1965 eine Absenkung der Zölle im globalen Schnitt von 30 auf 5% bewirkt. Günstige Arbeitskosten in aufkommenden Schwellen- und Entwicklungsländern haben Wertschöpfungsketten über die ganze Welt verteilt. Selbst einfachste Produkte wie Jeanshosen machen in ihrem Entstehungsprozess eine Weltreise, ehe sie z.B. beim deutschen Verbraucher ankommen. Jetzt tritt der Warenhandel in eine neue Phase ein. Bewohner der Industrieländer fragen immer mehr Dienstleistungen (z.B. Gastronomie, Sport) nach. Deren Anteil wächst stärker als der Warenkonsum, behauptet Turner. Außerdem nehme der Anteil von Produkten zu, für die es kaum Grenzen gebe wie IT und Internetdienstleistungen. Die bisher deutlichen Unterschiede in der Höhe der Arbeitskosten glichen sich immer stärker an. Wertschöpfungsketten würden immer kürzer, je mehr Produktion(-sschritte) dank des technologischen Fortschritts in die Industrieländer zurückkehrten. Darüber hinaus gehe mit steigenden Löhnen in Ländern wie China der Anteil des Außenhandels im Vergleich zum Innenhandel zurück. In der Tat wächst der Weltwarenhandel seit 2006 immer schwächer. Auch das Wachstum des globalen BIP (wechselkursbereinigt) geht zwar zurück; allerdings nicht so schnell wie das des Warenhandels (siehe Grafik).
Auch in der WTO machen sich Ökonomen Gedanken über die aktuelle Entwicklung des Welthandels. In der Regel hat sich dieser in Krisenzeiten immer abgeschwächt, um mit einem besonders starken Aufschwung wieder anzuspringen. Dieses Mal bleibe der Aufschwung (zu lange) aus. Die WTO-Ökonomen rätseln, ob sich der Handelszyklus aufgrund der lang andauernden Weltwirtschaftskrise nur verschoben habe, oder ob man sich allmählich Gedanken über einen neuartigen Zusammenhang zwischen dem Weltwarenhandel und dem globalen Wachstum machen müsse. Fazit: Der Welthandel wird auch in der Zukunft noch ein Treiber der Weltwirtschaft sein. Doch seine Bedeutung sinkt und wird wohl weiter zurückgehen. Stattdessen dürfte vor allem die Dienstleistungsbranche verstärkt zum Wachstumstreiber werden.