Aktien arbeiten am Aufbruch zum Allzeithoch
Diese Nachricht reicht aus, um die Börsianer in neue Euphorie zu versetzen. Die Aktienbörsen steigen weiter und haben inzwischen die vorige Woche an dieser Stelle genannten Entscheidungsmarken erreicht. Der DAX hat die Marke von 12.800 Punkten knapp überwunden. Er notiert momentan bei 12.900 Zählern. Fällt der Index nicht wieder prompt unter dieses Niveau, ist ein Angriff auf das Allzeithoch zu erwarten. Auch der Dow ist kräftig gestiegen, auf inzwischen fast 27.000 Punkte. Überwindet der Index die Marke von 27.500 Zählern, ist auch hier von einem Anlauf auf das Allzeithoch auszugehen.
Miese Zahlen besser als die Erwartungen
Ein anderer Kurstreiber sind die aktuellen Unternehmenszahlen. Diese sind teilweise besser ausgefallen als die Erwartungen waren. Das lag allerdings an den tiefgestapelten Erwartungswerten. Die waren derart mies, dass selbst die schlechtesten Umsatz- und Gewinnzahlen noch darüber lagen. Auch so kann man positiv überraschen und die Aktienkurse steigen.
Aktien erreichen somit mittelfristig neue Bewertungs-Niveaus. Sie können für sich genommen teuer erscheinen. Doch ein Investor denkt stets in Alternativen. Wenn die Übernahme von Risiken bei der Kreditvergabe (Anleihen) nicht mehr oder gar negativ verzinst wird, dann ist auch ein deutlich höheres Risiko bei Aktieninvestments tragbar. Zumal Aktien eine direkte Unternehmensbeteiligung sind.
Strukturell immer höhere KGVs normal?
Das kann im Laufe der Zeit dazu führen, dass sich Anleger an neue KGV-Zahlen gewöhnen müssen. Je länger die Nullzinsphase andauert – und sie wird noch eine ganze Weile Bestand haben – desto wahrscheinlicher ist es, dass ein KGV von 20 oder 25 als normal und alternativlos gilt. Vor 15 Jahren lag dieser Wert zwischen 13 und 17 und Unternehmen mit einem KGV von 25 oder gar 30 galten als sehr teuer.
Dennoch hat eine Höherstufung der als normal geltenden Bewertungsniveaus absolute Folgen. Es dauert nun viel länger, bis das Unternehmen, dessen Anteile man kauft, seinen Börsenwert im Wortsinn verdient hat. Oder anders ausgedrückt: Der Anleger bekommt weniger Unternehmen für sein Geld. Liefern die Unternehmen dann die aktuellen Gewinne nicht, reagieren die Investoren erheblich empfindlicher als bei niedrigeren Bewertungen.
Das Risiko steigt
Vor diesem Hintergrund sollten die aktuellen Einschätzungen der Unternehmen zum Insolvenzrisiko abgewogen werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im April 13,3% weniger Unternehmensinsolvenzen in Deutschland gemeldet als im Vorjahresmonat. Auch für das gesamte erste Halbjahr wird die Anzahl der Insolvenzen die Vorjahresfälle deutlich unterschreiten.
Das allerdings liegt an der Notfall-Gesetzgebung während der Krise. Die erlaubt Unternehmen, bis Ende Septeber keinen Insolvenzantrag stellen zu müssen. Das verschiebt das Risiko aber nur nach hinten. Laut einer Juni-Umfrage des ifo-Instituts bezeichnen 21% aller befragten deutschen Unternehmen die Corona-bedingten Beeinträchtigungen als existenzbedrohend. Im Segment der Dienstleistungen sind es sogar 27%. Besonders hart trifft es die Anbieter und Vermittler von Reisen, Hotels und Gaststätten. Von ihnen sehen sich bis zu 85% in ihrer Existenz bedroht.
ZEW-Erwartungen verheißen Ernüchterung
Zugleich deuten die ZEW-Konjunkturerwartungen auf einen Ernüchterungseffekt hin. Sie geben im Juli von 63,4 auf 59,3 Punkte nach. Die starken Wachstumsraten der Vormonate waren zum guten Teil ein rein statistischer Basiseffekt nach dem tiefen Corona-Absturz. Nun nähern sich die aktuellen Daten wieder der wirtschaftlichen Realität an – und die verheißt für das dritte Quartal deutliche Wachstumsprobleme.
Konjunkturpakete nur wenig wirksam
Daran wird auch das Konjunkturpaket der BUndesregierung nicht viel ändern. Das hat gerade das ifo-Institut noch einmal nachgerechnet. Von ihm sind keine allzu großen Wachstumswirkungen zu erwarten. Der Wachstumsimpuls sei im Jahr 2020 mit voraussichtlich 30 Mrd. Euro deutlich kleiner als die damit verbundenen Kosten von 88 Mrd. Euro, glaubt ifo-Präsident Clemens Fuest.
Die Börse lebt somit in zwei Ilusionen. Erstens werden die Wirkungen der Konjunkturpakete und somit die Dynamik der konjunkturellen Erholung noch immer überschätzt. Außerdem sind die Hoffnungen auf einen Universal-Impfstoff, der eine schnelle Rückkehr zur Vor-Corona-Welt ermöglich, ein Wunschtraum. Denn das Virus mutiert und 8 Mrd. Menschen auf der Welt können (oder wollen) ohnehin nicht flott geimpft werden.