Skalpell statt Guillotine
Die EU wird das Schweizer Votum zur Personenfreizügigkeit nutzen, um wirtschaftspolitischen Druck auf die Eidgenossen aufzubauen.
Die EU wird das Schweizer Votum zur Personenfreizügigkeit nutzen, um wirtschaftspolitischen Druck auf die Eidgenossen aufzubauen. Hintergrund ist die sogenannte „Guillotinen-Klausel“: Diese besagt, dass die EU nach einer Umsetzung des Schweizer Votums gegen die Freizügigkeit die Möglichkeit hat, das gesamte Vertragswerk mit der Schweiz aufzukündigen. Die Aufkündigung der sogenannten „Bilateralen Verträge I“ hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Schweizer Wirtschaft. Denn das Abkommen regelt die wesentlichen Teile der Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Alpenrepublik. Dank der „Konformitätsbewertung“ ist die Schweiz nicht gezwungen, die technischen Anforderungen ihrer Produkte an das EU-Recht anzupassen. Das erleichtert der schweizerischen Exportwirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Außerdem können Warentransporte über Ländergrenzen hinweg unkompliziert abgewickelt werden. 2012 gingen 56% aller Schweizer Exporte in die EU. Zudem fallen Zollschranken für Agrarprodukte weg und Schweizer Fluglinien erhalten Zugang zum EU-Luftraum. Auch können Schweizer Forscher an EU-Forschungsprogrammen teilnehmen. Allerdings geht die Wahrscheinlichkeit gegen null, dass die EU die Verträge tatsächlich aufkündigt. Dafür sind die gegenseitigen Beziehungen zu verflochten. Derzeit sitzen beispielsweise rund 1.250 deutsche Firmen mit 123.000 Beschäftigten in der Schweiz. In Deutschland gibt es 1.550 Schweizer Unternehmen mit 344.000 Arbeitsplätzen. Daher wird Brüssel versuchen, das Schreckgespenst der Vertragskündigung bei künftigen Verhandlungen als Faustpfand einzusetzen. Momentan verhandeln Bern und die EU über eine Revision des Zinsbesteuerungsabkommens, mit der Brüssel Steuerschlupflöcher schließen will. Außerdem geht es um die Teilnahme der Schweiz am europäischen Strom-Binnenmarkt. Ein großes Problem für die Schweiz besteht momentan in der erheblichen Unsicherheit, die das Votum ausgelöst hat. „Viele Unternehmen könnten sich aufgrund der unklaren Lage Investitionen zurückhalten“, sagt uns ein Vertreter der Handelskammer Deutschland Schweiz. Daher will die Schweizer Regierung das Votum trotz der dreijährigen Frist schnell umsetzen.
Fazit: Die Schweiz steht außenpolitisch mit dem Rücken zur Wand. Brüssel wird das Droh- und Druckpotenzial für gezielte Interessenpolitik einsetzen. Dies wird allerdings weniger mit der groben Guillotine, sondern mit dem feinen Skalpell geschehen.