Europa, das neue Schuldenfass
Die europäische Haftungs- und Schuldungsgemeinschaft nimmt immer konkretere Formen an. Die EZB hält an ihrer Politik der nur grob verschleierten direkten Staatsfinanzierung fest. Das machte die Politik-nahe, extra zu diesem Zweck inthronisierte EZB-Chefin Christine Lagarde heute noch einmal klar. Trotz pulsierender Inflation bleibt die EZB bei ihrem Mantra, in den nächsten Monaten werde es mit den Preissteigerungen wieder deutlich abwärts gehen. Deshalb kann der Geldhahn aufgedreht bleiben.
Kein Wunder: Am Tropf der EZB hängen zahlreiche europäische Volkswirtschaften: Griechenland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal. Ihre Vertreter bilden die Mehrheit im EZB-Rat, der für die Geldpolitik verantwortlich ist. Prof. Thomas Mayer, ehemals Chef von Deutsche Bank Research, jetzt Leiter des FvS-Research Instituts, konstatiert: "Der Staat kann (inzwischen) Anleihen nur noch an Käufer absetzen, die ihm auf die eine oder andere Weise untertan sind. Dazu gehört an erster Stelle die ihm gefügige Zentralbank, die seine Anleihen über ihre Käufe zu Geld verwandelt."
Italienisch-französischer Schuldenpakt
Doch es gibt noch weitere klare Signale in Richtung Verschuldungsgemeinschaft, die bei der Grundlegung des Euro eigentlich ausgeschlossen worden war. Der Pakt über politische und industrielle Zusammenarbeit, den Italien und Frankreich unter französischer Federführung am 26.11.21 im Quirinalspalast in Rom schlossen, wird in der deutschen Presse kaum erwähnt. Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, behauptet, man sei sich in Rom und Paris einig in dem Ziel, innerhalb der EU Deutschland in die Zange zu nehmen und daran zu hindern, sein faktisches Veto-Recht gegen eine weitere Nutzung der deutschen Bonität für europäische Schulden und eine Haftung der deutschen Volkswirtschaft für italo-französische Projekte zu überwinden.
Kerber ist ein intimer Kenner der französischen Verhältnisse und Politikkonstanten. Er war ab 1982 beim Bundeskartellamt in der Fusionskontrolle als Regierungsrat und 1985 beim französischen Finanzministerium in der Abteilung Wettbewerb und Kapitalmärkte tätig. 1986 wurde er Europareferent des Bundeskartellamtes und dessen Repräsentant im Beratenden Ausschuss der Europäischen Kommission für Wettbewerbsfragen. Von 1986 bis 1989 arbeitete Kerber bei der Banque Indosuez in Paris als Leiter des Deutschlandgeschäftes. Noch heute hält er enge Kontakte in das Land.
Die Chance der Corona-Krise
Rom und Paris möchten die einmalige Chance, die die Corona-Krise ihnen gibt, konsequent nutzen. Sie wollen die Haftungsgemeinschaft in Europa fest etablieren. In Deutschland sind Parlament und Bürger seit Ausbruch der Pandemie im finanzpolitischen Dämmerzustand. Vermeintliche Not kennt kein Gebot, wie selbst Finanzminister Christian Lindner (FDP) beim Nachtragshaushalt deutlich macht. Der selbsternannte Schuldenbremser widmet die geplante Umwidmung von 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfsfonds in den Klima- und Transformationsfonds um. Obwohl das mindestens hart an der Verfassungsmäßigkeit vorbeischrammt, wenn nicht schon die Grenze überschreitet.
Die Kreditkaskade wird ausgebaut
Tatsache ist: Italien und Frankreich wollen mit Brüssel eine weitere staatliche Ebene einziehen, die dauerhaft verschuldungsfähig gemacht werden soll. Der erste große Schritt in diese Richtung ist längst getan. Mit Europas Recovery and Resilience Facility – dem größten Batzen innerhalb des gigantischen Brüsseler Hilfsprogramm mit dem freundlichen Namen "Next Generation EU" mit einem Volumen von 672,5 Mrd. Euro (in Preisen von 2018) – ist der Grundstein gelegt.
So wird die öffentliche Kreditkaskade ausgebaut. In Deutschland machen schon die Kommunen, die Länder und der Bund jeweils eigene Schulden. Hinzu kommen kreditgebende Institutionen wie die KfW oder die Europäische Investitionsbank. Und jetzt auch noch Brüssel. Für jede dieser Ebenen haften dieselben Steuerzahler. In der Privatwirtschaft würde man wohl von einem Schneeballsystem sprechen.
Am Schuldenschleier wirken alle mit
Entlarvend: In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Nationalstaaten hat die Brüsseler Kreditaufnahme keinen direkten Einfluss auf die Staatsverschuldung. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs geeinigt. Im September wurde dazu die Guidance Note on the statistical recording of the Recovery and Resilience Facility verabschiedet.
Im Ergebnis werden die Brüsseler Hilfsgelder separat als EU-Schuld verbucht. Dies hat nur dann direkte Auswirkungen auf die Staatsverschuldung eines bestimmten Mitgliedstaats, wenn ein Teil der von der EU geliehenen Gelder an diesen Mitgliedstaat zurückgeliehen wird. Dies gilt jedoch nicht für die als Zuschuss bereitgestellten Gelder.
Gewollte Schuldenillusion
Selbst bei Eurostat äußert man hinter vorgehaltener Hand, dass die Kreditaufnahme durch die EU eigentlich eine Verpflichtung der nationalen Regierungen darstellt. Der zum Jahresende scheidende Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte immer wieder angemahnt, die Next-Generation-Schulden den nationalen Quoten zuzurechnen, um keine "Schuldenillusion" zu nähren. Doch die Bundesbank bestätigt FUCHSBRIEFE: „Bisher ist in diesem Rahmen nichts beschlossen worden. In der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes ist gegenwärtig nichts enthalten.“
Fazit: Unter Olaf Scholz, der sogar die Arbeitslosenversicherung vergemeinschaften und aus einem gemeinsamen EWU-Topf notfinanzieren möchte, wenn ein Land an seine finanziellen Grenzen stößt, ist keine Gegenwehr gegen die Ambitionen von Paris und Rom zu erwarten. Und die FDP wird bei diesem Thema zwischen grünem Hammer und rotem Amboss zu gelbem Staub zermahlen.