Kritik am Zinskonzept der Europäischen Zentralbank
Offenbar richtet die EZB ihre Niedrigzinspolitik (bewusst) an einem unbrauchbaren Indikator aus, um die Konjunktur zu pushen und die gefährdeten Euro-Staaten mit billigem Kredit versorgen zu können. Die Volkswirte der Commerzbank zeigen in einer Analyse, dass der „neutrale Zins“ (auch natürlicher oder Gleichgewichtzins) wenig brauchbar ist. Auf ihn nehmen EZB-Vertreter aber immer wieder Bezug, wenn sie die niedrigen Zinsen begründen.
Die Schätzungen des neutralen Zinses müssten schon seit Jahren immer wieder nachträglich nach oben revidiert werden. Der neutrale oder natürliche Zins ist der Realzins, bei dem Preisstabilität gewährt ist und das BIP mit dem Produktionspotenzial übereinstimmt. Nur bei Realzinsen unterhalb des neutralen Zinses wirkt die Geldpolitik dem (EZB-)Konzept zufolge expansiv.
Ratsmitglied: "Zu frühe Zinserhöhung schwächt die Wirtschaft"
Ende März hatte EZB-Ratsmitglied Robert Holzmann aufhorchen lassen. Er sagte in einem Interview, solange der Gleichgewichtszinssatz unter null liege, würde eine zu frühe Zinserhöhung die Wirtschaft im Euroraum schwächen.
Das gilt als bemerkenswert. Denn Holzmann ist nicht nur Präsident der österreichischen Nationalbank. Er ist wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann einer der wenigen „Falken“, also „harten“ Geldpolitiker im EZB-Rat.
Widerspruch
Doch der neutrale Zins lag immer nur in den Anfangsschätzungen für die Jahre 2015 bis 2018 unter null. In der letzten Schätzung von August 2020 „lag der natürliche Zins (dagegen) niemals unter null“, so die Commerzbank. Das stehe im Widerspruch zur Aussage Holzmanns, der natürliche Zins für den Euroraum falle fortwährend negativ aus. Ergo: Folglich wachse die Gefahr, dass sich die EZB-Geldpolitik an einer falschen Messlatte orientiert und sie zu zögerlich und zu spät aus der expansiven Geldpolitik aussteigt.
Darüber hinaus ist der natürliche Zins derzeit noch wichtiger als sonst. Denn die EZB wird in diesem Jahr die Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie abschließen. Der Gleichgewichtszins wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Notenbank argumentiert, aufgrund des negativen Gleichgewichtszinses gebe es in der konventionellen Geldpolitik weniger Spielraum, die Wirtschaft zu stabilisieren. Und deswegen seien unkonventionelle Instrumente unverzichtbar. Das zielt auf umstrittenen Staatsanleihenkäufe ab. Diese sind ganz nahe an der – der Notenbank verbotenen – monetären Staatsfinanzierung.
Fazit: Der Verdacht erhärtet sich immer mehr, dass die EZB ihr Mandat nutzt, um den Staatshaushalten der EU billiges Zentralbankgeld zuzuführen – und somit die eigentlich verbotene Staatsfinanzierung zu betreiben.