Notenbanken in der Feuertaufe
Auch nach weiteren 50 Basispunkten Zinserhöhung: Fed und EZB haben ihren Job noch längst nicht getan. Die Märkte haben zu früh in den Euphorie-Modus geschaltet. Der Leitzins – die Fed-Funds-Rate – wird 5%+x erreichen und dort eine Weile verharren. Denn es gilt der Leitsatz von Yale-Professor Stephen Roach: „ Mit einem negativen realen Leitzins wird die Inflation nicht in den Griff zu bekommen sein“.
Die Leitzins-Inflations-Lücke ist in den USA immer noch beträchtlich. Sie beträgt auch nach dem jüngsten zaghaften Preissteigerungsrückgang auf 7,1% und der Zinserhöhung der Fed auf 4,50% beträchtliche 250 Basispunkte. Roach, der 30 Jahre lang für den US-Anlagemanager Morgan Stanley zuletzt als Chefvolkswirt arbeitete, bezeichnet das lange Festhalten der Fed an Niedrigzinsen als „großen Fehler“. Den werde sie nun zu kompensieren versuchen. Er habe auf einer auch in der akademischen Welt weit verbreiteten „Fehleinschätzung“ beruht, es handle sich bei der Inflation um einen „temporären Schock“.
Milder Konjunkturrückgang spricht für höhere Leitzinsen
Auch die sich häufenden Meldungen über einen milder als erwartet verlaufenden Konjunkturrückgang sprechen für höhere Zinsen. Von einer Rezession ist zumindest für die USA nicht mehr die Rede, dafür von zwei aufeinanderfolgenden Jahren mit Mini-Wachstum von 0,5%.
Der Kurs der Fed ist somit klar: Die Treppenstufen, die sie bei den Zinserhöhungen nimmt, werden kleiner. Von 75 Basispunkten auf jetzt 50 werden sie im kommenden Jahr auf 25 zurückgehen. Vorausgesetzt, die Inflation behält ihre Abwärtstendenz bei. Die Fed erwartet im Durchschnitt des kommenden Jahres 3,1% Preissteigerungsrate und 2,5% im darauffolgenden Jahr 2024.
Fed-Erwartung: 2025 treffen sich Leitzins und Inflationsrate bei 2,0%
Parallel soll sich die Inflationsrate von 5,6% im Jahresdurchschnitt 2022 über 3,1 und 2,5% auf 2,1% im Jahr 2025 zurückentwickeln. Danach soll dann die Fed-Zielmarke von 2,0% wieder erreicht sein und gehalten werden. 2025 also treffen sich Inflationsrate und Leitzins bei 2,0%, lautet das Szenario. Somit sind noch etliche Stufen zu nehmen, bis der Treppenabsatz erreicht ist, auf dem die Notenbank verschnaufen darf.
Legt man dieselbe Messlatte an den Euroraum an, sieht man, wie weit die EZB noch von einem inflationsdämpfenden Zins entfernt ist. Nach dem jüngsten Zinserhöhungsschritt ist der Leitzins in der Eurozone gerade mal bei 2,5%, die Inflationsrate bei 10,0% – eine Lücke von 7,5 Prozentpunkten. Diese ist damit dreimal so groß wie jene, die die Fed zu schließen hat.
Die EZB hat noch immer keinen klaren Kompass
Doch die EZB ist gefesselt in ihren Handlungen. Aufgrund der verkorksten Zusammensetzung des Euroraums ist die Zentralbank nicht frei in ihren Handlungen und nicht fokussiert auf ihr Kernziel, die Geldwertstabilität. Stattdessen werden ihre Handlungen vom schwächsten Glied in der Kette bestimmt: Italien. Das macht Frankfurt unentschlossen sowohl bei den Leitzinsen als auch beim Abbau des gewaltigen Bestands an Staatsanleihen. Wie die EZB glauben kann, dennoch – wie die Fed – bereits 2025 die Inflationsrate wieder auf 2,0% zu bekommen, bleibt ihr Geheimnis und das vieler Volkswirte.
Fazit: Wir rechnen damit, dass die Fed 2023 auf einem restriktiven Kurs verharren wird, selbst wenn dies zulasten des Wachstums und einer leicht steigenden Arbeitslosigkeit geht. 2024 sind in den USA wieder Präsidentschaftswahlen und da wird sich die Fed bei den Zinsen lieber zurückhalten wollen. Die EZB wird ihre Zinsen ebenfalls in die Nähe von 5,0% bringen müssen, um den Preisauftrieb in den Griff zu bekommen.
Empfehlung: Es wird sich rechnen, im nächsten Jahr Anleihen-Portfolios aufzustocken und dabei auch längerfristige Zinsbindungen zu wählen. Die Marktzinsen dürften dann einen Gipfelpunkt erreichen.