Frankreich zündet Reformstufe II
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zündet in diesen Wochen Reform-Stufe II. Zentraler Punkt: die „Modernisierung" des öffentlichen Sektors. Hier arbeiten allen 5,5 Mio. Menschen. Und er ist eingerostet. Die starke Mitsprache der Gewerkschaften führt zu einer selbst in Deutschland kaum gekannten Undurchlässigkeit und Unbeweglichkeit. Hier sollen Vorgesetzte mehr individuelle Entscheidungsfreiheit insbesondere bei Stellenbesetzungen erhalten.
Arbeitslosenversicherung, Reform des öffentlichen Sektors und Rentenform oben auf der Agenda
Zweiter Punkt der Agenda ist die Reform der Arbeitslosenversicherung. Vorgesehen ist die Kürzung der Zahlungen und die Senkung der Abfindungen für Besserverdiener. Ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen erhält derzeit 68% des vorherigen Einkommens, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. In Deutschland sind es nach OECD-Vergleichen 59%, in Großbritannien 34%. Gleichzeitig will die Regierung etliche Sozialleistungen bündeln und neu ausrichten. In der Regel läuft das auf Kürzungen für Arbeitslose hinaus. Dagegen setzt Macron das Motto: „Leistung soll sich wieder lohnen".
Dritter Punkt ist eine Rentenreform. Kernpunkt ist die Verschiebung des Renteneintrittsalters nach hinten. Hier will Marons Regierung Anreize setzen, länger zu arbeiten. Damit soll der Kern der Maßnahme kaschiert werden. Vor Herbst ist aber nicht mit dem entsprechenden Gesetzespaket zu rechnen.
Für Macron geht es politisch „um die Wurst" – um die Chance auf Wiederwahl als Präsident
Alle drei Reformpunkte sind ein Ritt auf dem Tiger. Die Tarifparteien haben ihre diesbezüglichen Gespräche schon zu Jahresanfang abgebrochen. Die Gelbwestenbewegung hat sich zwar beruhigt. Sie kann aber jederzeit wiederaufleben.
Die Reform des öffentlichen Sektors und die Rentenreform sind enorm wichtig. Beide Bereiche tragen zum hohen Defizit im französischen Staatshaushalt bei, das nicht dauerhaft durchhaltbar ist und schon jetzt regelmäßig die europäischen Regeln (3%-Ziel) verletzt.
Immerhin hat sich Macron in den Umfragen vom Tiefschlag der Europawahl erholt. Im Beliebtheits-Vergleich mit Marine Le Pen vom Rassemblement National setzt er sich langsam, aber sicher wieder nach oben ab. Für die Leser unserer Briefe ist das keine Überraschung (FB vom 8.4.19). Denn die Europawahl wird gerade auch in Frankreich traditionell für einen Warnschuss an die Adresse des Präsidenten und seiner Regierung genutzt. Sie überzieht das jeweilige Stimmungsbild.
Es geht für Macron darum, ob die Reformrakete durchstartet oder explodiert. Das wird auch über die mögliche Fortsetzung seiner Präsidentschaft entscheiden. Die Chancen stehen dabei schlechter als 50% pro Reformen.