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Interview mit Rechtsanwalt Klaus Nieding, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Frankfurt am Main

Anleger wollen keine Bevormundung

Anleger wollen keine Bevormundung. Copyright: Pexels
Rechtsanwalt Klaus Nieding sieht Kunden aufgrund der Informationsflut nach MiFID II weiterhin nicht in der Lage, selbstbestimmte Anlageentscheidungen zu treffen. Zudem ist für ihn ein neuer Trend besorgniserregend: Kryptowährungen. „Aufgrund seiner geringen Regulierungsdichte sei der Kryptomarkt im hohen Maße anfällig für betrügerische Systeme und berge für Anleger daher erhebliche Risiken, so Nieding.

FUCHS | RICHTER PRÜFINSTANZ: Wie wirkt sich MiFID II auf die Kundenberatung und -zufriedenheit aus?

RA Klaus Nieding: Ein erklärtes Ziel von MIFID II ist die Stärkung des Anlegerschutzes. Ich bin aber skeptisch, ob dieses Ziel auch erreicht worden ist. Kunden wirken zunehmend frustriert angesichts der gesteigerten Informationsflut. Die Situation ist hier, dass eine Verschärfung der Dokumentationspflichten für den Anlageberater spiegelbildlich zu einer Überforderung des Kunden geführt hat. Eigentlich soll Kunden durch den Anlegerschutz zu einer aufgeklärten Entscheidung verholfen werden. Solche Entscheidungen sind aber nicht möglich, wenn Informationen aufgrund Ihrer Masse und Komplexität gar nicht erst aufgenommen und bewertet werden können. Dokumentation und Anlegerschutz verhalten sich nicht immer komplementär zu einander.

Dokumentationspflichten führen nicht zwangsläufig zu einer besseren Beratungsqualität

Gibt es denn wenigstens positive Auswirkungen auf die Qualität der Beratung?

Nein, die verschärften Dokumentationspflichten führen nicht zwangsläufig zu einer besseren Beratungsqualität. Zum Beispiel beobachten wir zunehmend, dass viele Anlageberater bei der Geeignetheitsprüfung nachlässig sind. Geeignetheitserklärungen enthalten vermehrt formelhafte Aussagen mit teils geringerem Informationsgehalt. Es fehlt dann an einer substanziellen Begründung der Anlageempfehlung. Aus der Perspektive des Anlegerschutzanwaltes ist aber fairerweise zu konstatieren, dass Dokumentationen die Beweissicherung im Prozess vereinfachen. Hier finden sich häufig Anknüpfungspunkte für eine Falschberatung, die im Prozess verwertet werden können. Man darf auch nicht vergessen, dass die regulatorischen Vorgaben durch kostenintensive Compliance-Systeme umgesetzt werden müssen. Es steht dann zu befürchten, dass Kosten an die Kunden weitergegeben werden. Ich habe Zweifel, ob den Wünschen der Anleger damit entsprochen wird.

Anzahl von Klagen hat abgenommen

Wie hat sich die Fallzahl der Kundenklagen entwickelt?

Aufgrund der klauselartigen Ausschlüsse von Rechtsschutzversicherungen für solche Fälle hat die Zahl der Klagen von Privatanlegern in den letzten Jahren abgenommen. Seit einiger Zeit sind internationale Prozessfinanzierer dabei, die Finanzierung solchrn Kundenklagen zu übernehmen. Das ist im Falle von Privatanlegern für den Finanzierer aber nur dann interessant, wenn es sich um eine Vielzahl von Ansprüchen aus ein und demselben Sachverhalt handelt. Zum „Handling“ solcher Fälle ist dann der Einsatz von spezieller IT-Technologie im Sinne von Legal Techs erforderlich. Bei den institutionellen Anlegern sehen wir diese Vorgehensweise –Finanzierung des Verfahrens und dessen Logistik seitens Litigation Funder – schon länger. Der Schädigerindustrie wird so zunehmend auch eine mindestens gleichstarke Klägerindustrie entgegengesetzt.

Kryptowährungen neues Feld für Betrüger

Welches sind die häufigsten Anlässe für Klagen heute?

Neben den mutmaßlichen Bilanzbetrugsskandalen bei Wirecard und Greensill, die eine besorgniserregend große Zahl an geschädigten Anlegern hinterlassen haben, wenden sich auch vermehrt Kryptoinvestoren an uns. Aufgrund seiner geringen Regulierungsdichte ist der Kryptomarkt im hohen Maße anfällig für betrügerische Systeme und birgt für Anleger daher erhebliche Risiken. Hier tummeln sich dubiose Onlinebroker und unseriöse „Anlageberater“, die Investoren mit aberwitzigen Renditeerwartungen locken. Wir registrieren vermehrt Beschwerden von Anlegern, denen plötzlich der Zugriff zu ihrem Depot entzogen wurde. Anleger sollten auch besonders bei „Initial Coin Offerings“ vorsichtig sein, in denen Ramschwährungen ohne einen erkennbaren Nutzen auf den Markt geworfen werden, die sich nach kurzer Zeit als Rohrkrepierer erweisen. In vielen dieser Fälle bleibt dem Betroffenen häufig keine andere Wahl, als rechtliche Schritte einzuleiten und prüfen zu lassen, ob eine Falschberatung vorgelegen hat. Wir sehen darin so etwas wie einen „Neuen Markt 2.0“. Aber nicht alles ändert sich. So beschäftigen wir uns beispielsweise nach wie vor mit der Aufarbeitung des Dieselskandals und seinen vermögensschädigenden Auswirkungen für die Anleger.

Beratungsqualität leidet bei Online-Beratung

Wirkt sich die seit Beginn der Corona-Pandemie stark zunehmende Online-Beratung auf die Beratungsqualität aus?

Die Begegnung in der Filiale oder im Kundencenter wird in der Corona-Pandemie durch Videotelefonie und andere Formen der Onlineberatung ersetzt, das ist richtig. Auch wenn die Handlungsmöglichkeiten des Kunden durch diese Innovationen erweitert werden, bestehen hier auch Probleme. Es ist offenbar so, dass die Beratungsqualität unter diesen Formaten leidet. Die Hemmschwelle, nicht sorgfältig zu arbeiten und nur oberflächlich auf die Situation des Kunden einzugehen, ist bei der physischen Begegnung signifikant höher. Das gilt selbst im Vergleich zur Videoberatung, die eine trügerische Intimität zwischen Kunden und dem Anlageberater suggeriert.

Viele Anleger kommen mit den Online-Tools nicht zurecht

Verändert das den Beratungsprozess in irgendeiner Weise?

In rechtlicher Hinsicht ist hier festzuhalten, dass Beratungsgespräche über Videocalls ebenfalls Dokumentationspflichten unterliegen. Eine Aushebelung des Anlegerschutzes droht nicht. Tatsächlich läuft die Beratung in diesem Rahmen anders ab. Der Beratungsprozess wird standardisierter, was mit der zunehmenden Automatisierung in diesem Bereich zu tun hat. Das lässt sich nur unzureichend mit der rechtlichen Vorgabe in Einklang bringen, dass Anlageberatung individuell auf den Kunden zugeschnitten sein sollte. Bereits im Jahr 1993 gab es hierzu die „Bond Entscheidung“ des Bundesgerichtshofes. Wir stellen in vielen Fällen auch fest, dass die Anleger nicht mit den Onlinetools zurechtkommen. Informationen werden falsch eingeordnet oder Daten werden vom Nutzer falsch eingegeben. Teils werden diese Eingabefehler auch durch die Tools provoziert. Für unerfahrene Anleger bergen solche Systeme daher auch Risiken.

Systeme technisch nicht immer ausgereift

Sehen sie weitere Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beratungsqualität?

Durchaus. Es drängen z.B. vermehrt Onlinebroker auf den Markt, die mit geringen Transaktionskosten und der unkomplizierten und schnellen Ausführung von Ordern werben. Mein Eindruck ist hier, dass die Systeme technisch noch nicht ganz ausgereift sind. Das zeigen die jüngsten Vorfälle um den Aktienkurs von Gamestopp, bei dem Privatanleger sich zusammengetan haben, um den Leerverkaufsattacken von Hedgefonds den Wind aus den Segeln zu nehmen. Von den massiven Kursanstiegen haben nicht alle Privatanleger gleichermaßen profitiert.

Handel ausgesetzt

Können Sie das bitte weiter präzisieren …

Bei vielen Onlinebrokern wurde der Handel wegen Überlastung ausgesetzt oder nur mit erheblichen Verzögerungen ausgeführt, sodass Kursgewinne letztlich nicht realisiert werden konnten oder Aktien erst gar nicht gekauft wurden.

Möglicherweise liegt Vertragspflichtverletzung vor

Was können Anleger in solchen Fällen tun?

Online-Broker können insoweit in der Haftung stehen und begehen eine Vertragspflichtverletzung, wenn sie eine schnelle Ausführung von Ordern vertraglich zugesagt haben. Auch aus regulatorischer Sicht geben solche Vorfälle Anlass zur Sorge. Das Zusammenwirken mehrerer Anleger zur gezielten Beeinflussung des Aktienkurses könnte als Marktmanipulation gewertet werden. Der Finanzmarkt soll eigentlich für eine faire Preisbildung durch ein Austarieren von Angebot und Nachfrage sorgen. Er dient damit einem sinnvollen makroökonomischen Ziel. Wenn sich Kursverläufe aber vom operativen Geschäft eines Unternehmens vollkommen entkoppeln und dies durch das Zusammenwirken Mehrerer zur Erreichung eines irrationalen Zwecks gezielt herbeigeführt wird, dann droht die Börse zu einer Spielwiese für Spekulanten zu werden, was auf der anderen Seite auch sehr viele Verlierer produziert.

Roboadvice ändert nichts an den rechtlichen Rahmenbedingungen

Auch das sogenannte Roboadvice gewinnt immer mehr an Bedeutung …

Ja, hier treten Fintechs in Konkurrenz zu klassischen Banken. Letztere sind sichtlich bemüht, den Anschluss an das Angebot der Fintechs nicht zu verlieren und Marktanteile zu halten bzw. neue zu erschließen. Diese sich abzeichnenden Marktverschiebungen werden durch die Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz befeuert. An den grundlegenden rechtlichen Bewertungen müssen diese Beratungsformen aber nichts ändern.

Auch Roboadvice kann Anlageberatung sein

Wie sieht es denn hier mit Anlageberatung aus, wo ordnet sich Robo-Advice hier ein?

Dienstleistungen über Roboadvice können rechtlich gesehen eine Anlageberatung darstellen. Das ist der Fall, wenn beispielsweise das System dem Nutzer nicht nur Anlageklassen vorstellt, sondern auch konkrete Anlagevorschläge unterbreitet. Das wäre gegeben, wenn der Roboadvisor dem Nutzer den Vorschlag unterbreitet, in eine ganz bestimme Aktie oder ein anderes konkretes Finanzprodukt zu investieren. Hinzu kommt, dass auch beim Roboadvice ein Beratungsprotoll erstellt und unterschrieben werden muss. Dafür muss eine Person individualisiert werden, der der Roboadvice zugeschrieben werden kann. Diese Person muss das Beratungsprotokoll unterschreiben. Wir bewegen uns damit größtenteils noch in dem altbewährten rechtlichen Koordinatensystem. Ich bin gespannt, wie die Rechtsprechung mit diesem neuen technologischen Feld umgehen wird.

Herr Nieding, wir bedanken uns für das Gespräch.

Elke Pohl führte für die FUCHS | RICHTER PRÜFINSTANZ das Gespräch mit dem Fachanwalt.

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