Landwirtschaftsminister Özdemir enttäuscht aktuell zwei Lager
Auf der Grünen Woche in Berlin zeigte sich, dass politische Vorstellungen und landwirtschaftliche Realität weit auseinanderklaffen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will, dass bis 2030 etwa 30% aller landwirtschaftlichen Flächen nachhaltig bewirtschaftet werden. Aktuell sind es 10,9%, so das Umweltbundesamt. Zudem setzt er sich dafür ein, dass die EU-Direktzahlungen an die Betriebe sich nicht mehr an der Flächengröße, sondern an der nachhaltigen Nutzung orientieren. Auch günstigere Preise für Obst und Gemüse durch Mehrwertsteuersenkungen stehen auf seiner Agenda. Am Ziel einer nachhaltigen Transformation sei nicht zu rütteln, so Özdemir. Über den Weg könne man jedoch sprechen.
Die Erreichung des 30%-Ziels ist aber unrealistisch. In den vergangenen zehn Jahren wurde der Anteil der nachhaltig bewirtschafteten Flächen von 5% auf nun knapp 11% verdoppelt. Dieses Zuwachstempo müsste sich nun vervierfachen, um das 30%-Ziel zu erreichen.
Will die Politik den Wandel, wird sie ihn finanzieren müssen
Mit dem real existierenden Markt ist das nicht zu machen. Die Zustimmung der Verbraucher zum agrarökologischen Wandel ist sogar rückläufig. Die Bereitschaft, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben, ist auf unter 50% gerutscht. Das hat eine Umfrage des Forums Moderne Landwirtschaft im Herbst 2022 ermittelt. Zudem zeigen Studien, dass es ohnehin eine große negative Diskrepanz zwischen den Antworten in Umfragen und dem tatsächlichen Handeln im Supermarkt gibt. Das heißt: Reden ist das Eine, Einkaufen das Andere.
Soll der Wandel doch gelingen (ohne dass es zu einem Betriebssterben kommt), sind erhebliche staatliche Eingriffe notwendig. Die gibt es laut Bauernverbänden aber nicht im notwendigen Ausmaß. Die Fördersummen für Stallumbauten seien zu niedrig, so Bauernpräsident Joachim Rukwied. Derzeit werden dafür 1 Mrd. Euro p.a. bereitgestellt. Auch hier wäre das Vierfache nötig. Auf der anderen Seite betont auch eine wachsende Zahl von Bauern, dass die Zielsetzung für eine nachhaltige Landwirtschaft angesichts der Ernährungsnotwendigkeiten zu groß sind. Allein der größere Flächenbedarf für rein biologischen Landbau oder Tierzucht begrenzen die Möglichkeiten.
Gute Zeiten für die Siegel-Branche
Aktuell verschafft der politische Kurs vor allem dem „grünen Ablasshandel“ eine Sonderkonjunktur. Immer mehr Lebensmittelbetriebe werben mit dem Schlagwort Klimaneutralität, um den grünen Zeitgeist zu bedienen. Das bescheinigen Sie sich, indem sie Ausgleichszertifikate und Siegel bei Unternehmen erwerben, die darüber Aufforstungen etc. finanzieren. Selbst das Bundesumweltamt kritisiert diese Siegel häufig als Verbrauchertäuschung. Einen direkten Umweltnutzen haben diese Praktiken selten. So wird z.B. Obst und Gemüse grün gestempelt (Äpfel aus Neuseeland, Orangen aus Griechenland), obwohl der reale CO2-Abdruck katastrophal ist (z.B. bei Avocados).