Anregen, nicht anstacheln
Wenn man sich nicht richtig verstanden fühlt, sollte man sich nicht beklagen. Dann hat man schlecht formuliert. Und ich muss feststellen, dass einzelne Formulierungen enorm emotionalisieren können und der gesamte Kontext dann schnell uninteressant wird. Das war bei Corona so, das erleben wir in der Chefredaktion jetzt mit Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, wenn uns Ihre Zuschriften erreichen. Ein Teil von Ihnen lobt und möchte von uns die unabhängige, kritische Gesamtsicht und Denkanstöße. Der andere Teil der Leserschaft stört sich daran und fordert eine eindeutige Haltung. Es sei nicht die Zeit für Grautöne. Wenige finden manche unserer Aussagen sogar „zum Kotzen“.
Erst einmal möchte ich festhalten: Niemand in der FUCHS-Redaktion bestreitet, dass es sich um einen durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine handelt. Und bei Putin um einen gefährlichen Aggressor, gegen den sich „der Westen“ stellen muss. Aus unserer Argumentation Anti-Amerikanismus oder fehlende Sensibilität gegenüber der Ukraine heraushören zu wollen, trifft nicht unsere Position. Oder wer dies so lesen möchte: Wir stehen eindeutig im westlichen „Lager“.
Wir haben die Entwicklung früh kommen sehen
Erinnern Sie sich an unsere Weihnachtsausgabe, in der ich mit Blick auf die „Weltkarte 2022“ schrieb: „Im regionalen Maßstab geraten Europa und Russland immer wieder aneinander. Europa nutzt die Waffen der Wirtschaft, Russland jene des Militärs. Zusammen wäre man stark, aber daran ist nicht zu denken“. Und: „Putin zündelt und spielt … bewusst mit dem Feuer. Er kann es lokal sogar brennen lassen, weil er weiß: Der Westen wird keinen Krieg riskieren, ist darauf auch überhaupt nicht vorbereitet. Wenn die Ostukraine militärisch besetzt wird, kommt es zu weiteren Sanktionen, aber nicht zu mehr. Damit ist ernsthaft zu rechnen.“ Der Krieg ist nun Realität, die Besetzung der Ostukraine das erklärte Ziel Moskaus und der Westen wird dafür nicht selbst in den Krieg ziehen.
Eindeutige Grundhaltung
Wir haben also eine eindeutige Grundhaltung. Ich bin voll Trauer und Mitgefühl mit den ukrainischen Menschen, die ihre Heimat gegenüber einem militärisch überlegenen Feind bewundernswert verteidigen. Aber deswegen werden aus FUCHSBRIEFE keine Bekennerbriefe. Wir wollen zum kühlen Nachdenken anregen, nicht zum emotionalisierten Bekenntnis anstacheln. Wenn die Luft bereits brennt, muss nicht jeder Satz ein verbales Zündholz enthalten.
Selbst jetzt sind nicht alle Dinge schwarz oder weiß und das auch bezogen auf Russland und die Ukraine. Auch der Good Guy im „Spiel“ könnte schlimme Dinge tun, weil für ihn der Zweck die Mittel heiligt. Wir bleiben daher wach und kritisch gegenüber nicht überprüfbaren Informationen. Ich nenne Butscha schon immer ein Verbrechen, das hart bestraft werden muss. Aber wir kennen bisher die Täter nicht, auch wenn vieles auf die russische Armee hindeutet. Was aus den ukrainischen Schwerverbrechern geworden ist, die die Regierung aus der Haft entlassen und mit Waffen ausgestattet hat, damit sie mitkämpfen können, weiß nach meiner Kenntnis niemand. Hier läge eine, natürlich spekulative Antwort auf die Frage, wer da – vielleicht für Geld – außer russischen Soldaten gemordet haben könnte. Vermutungen sind keine Tatsachen, Indizien keine eindeutigen Beweise. Wir wollen sensibel und mitfühlend sein, aber darüber nicht voreingenommen werden.
Mehr als eine Nacht darüber schlafen
Etwas kritisch zu hinterfragen, heißt für mich nicht, es als unwahr anzusehen. Aber Halbwissen sollte nicht die unmittelbare Grundlage für politische Entscheidungen wie den Stopp aller Gasbezüge aus Russland sein. Ich halte es für richtig, eine solch weitreichende Entscheidung mit Bedacht zu fällen. Operation gelungen, Patient tot? Darüber sollte ein Kanzler mehr als eine Nacht schlafen, wenn er noch Schlaf findet. Wenn ich Olaf Scholz darin unterstütze, werde ich damit nicht plötzlich zum Fan seiner Gesamtpolitik oder gar der SPD.
In Kriegszeiten hat Propaganda Hochkonjunktur. Politiker müssen sich jetzt mit allen Mitteln Rückhalt für Entscheidungen verschaffen. Und das tun sie auch. Als Medienmenschen brauchen wir dafür eine auf Empfenag eingestellte Antenne. Ein Mitarbeiter des AA, den ich sehr gut kannte, hat mir einmal gesagt, nichts sei so einfach, wie Presseleute zu manipulieren (sinngemäß). Das hat mich wahnsinnig geärgert, aber mit zunehmender Erfahrung habe ich gelernt, dass in dieser Aussage ein wahrer und keineswegs kleiner Kern liegt. Die Aussage gilt heute, in Zeiten einer jungen, oftmals nicht sehr kritischen Generation von Journalisten im sehr schnellen Internetzeitalter noch viel mehr.
Komfortable Position
Wir wissen, dass wir als Journalisten – anders als ein Politiker – in einer komfortablen Position sind. Wir dürfen falsch liegen, ein Regierungspolitiker und der Kanzler allemal darf es jetzt (eigentlich) nicht.
Fazit: Ich würde mich daher freuen, wenn Sie uns so lesen und verstehen würden: als Anreger, nicht als Anstachler. Als kritische Geister auch gegenüber „westlichen Quellen“ und nicht geistlose Kritiker gegenüber allem, was aus dem Osten kommt, nur weil es aus dem Osten kommt. Im vollen Bewusstsein, dass wir „zum Westen“ und seinen freiheitlichen Werten stehen. In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihr