Arbeitszeiterfassung: Wenn der Bock zum Gärtner wird
Die Richter des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt gönnen sich eine Ausnahme von dem, was sie selbst zur Regel erklärt haben: die lückenlose Arbeitszeiterfassung. Das Erfassen von Arbeitszeiten passe nicht zur Art ihrer Tätigkeit, lautet die lapidare Begründung. Außerdem seien Richter unabhängig und „nur dem Gesetz unterworfen“, erklärt die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, auf dem Auskunftsportal “fragdenstaat.de“.
Die Richter haben recht
Meine erste Reaktion: So viel Chuzpe muss man erst einmal haben. Meine zweite: Manchmal ist es gut, wenn der Bock zum Gärtner wird. Denn die Richter haben ja recht. Ihre Entscheidungen zur Arbeitszeiterfassung sind lebensfern und unsinnig. Sie passen nicht zur modernen Arbeitswelt, weder der von Richtern noch der in vielen anderen Berufen, und zum Homeoffice passen sie schon mal gar nicht.
Also sollten wir nicht die Richterschaft anklagen, sondern sie auffordern, den eigenen Unsinn in der Rechtsprechung schleunigst offiziell für alle zu korrigieren. Denn offenbar lässt das Gesetz ja eine solche Interpretation zu.
Die miserable Wirkung wird bleiben
Was dennoch bleiben wird, ist die Wirkung ihrer Entscheidung. Entweder hatten die Richter sie nicht bedacht. Oder falsch eingeschätzt. Oder es ist für sie zweitrangig, wie das gemeine Volk darüber denkt. Keine dieser Begründungen ist akzeptabel. Die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats ist wieder ein Stückchen in Mitleidenschaft gezogen.
Ich fühle mich an den britischen Premier Boris Johnson und seine Lockdown-Partys erinnert: Soziale Isolierung ist sehr wichtig, aber nur für andere, blieb als Botschaft ans gemeine Volk. Ein Grund, warum Johnson gehen musste.
Das System infrage gestellt
Die Richter des BAG machen es nicht viel anders. Wenn sich die Vertreter des Staates über die eigenen Regeln hinwegsetzen, dann stellen sie auch das System infrage. So rüttelt die Richterschaft selbst an der Unabhängigkeit der Justiz.