Das Jahr des Friedrich Merz
In der Musik touren gerade viele Bands der 70er, 80er und 90er Jahre mit ihren alten Hits durch die Lande. Manche mit Erfolg, wenn auch nicht alle. Wo die alten Musikgranden nicht mehr selbst reisen wollen, übernehmen Revival-Bands den Job und erfreuen das Publikum. Schallplatten aus Vinyl gehen weg wie warme Semmeln.
Retro ist eben in. Und so wundert es mich nicht, dass der Sauerländer Friedrich Merz einen Lauf hat. Den Parteivorsitz der CDU hat er im 3. Anlauf erobert, die Parteibasis hat er hinter sich. Den Fraktionsvorsitz übergibt der brave Parteisoldat Ralph Brinkhaus weitgehend geräuschlos – und überlässt dem ehemaligen BlackRocker damit die Chance auf die nächste Kanzlerkandidatur.
Der neue starke Mann der CDU sieht neben dem schwach wirkenden Scholz umso stärker aus
Merz ist jetzt der starke Mann in der Partei. Er hat die Macht wieder in einer Hand vereint, die seine zuletzt glücklos agierende Erzrivalin Angela Merkel mit der Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz teilweise aufgeben musste. Merz galt als Retro-Mann. Aber dieses Etikett schüttelt er gerade ab. Er will "Modernität" im neuen Grundsatzprogramm und vor allem "seriöse Arbeit".
Von innen gestärkt, spielen ihm auch die äußeren Umstände gerade in die Karten. Die Führungsschwäche von Kanzler Olaf Scholz – in der Impffrage, der Russlandfrage, der Energiefrage – lässt Merz umso stärker aussehen. In der Ukraine-Russland-Krise macht sich SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit der angekündigten Lieferung von 5.000 Schutzhelmen zum Gespött der nationalen und internationalen Öffentlichkeit.
Lauterbach: Gesundheitspolitik "hinter der Kurve"
Die ohnehin stets schrillen und oftmals dissonanten Töne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (ebenfalls SPD) klingen in letzter Zeit noch schriller. Während Länder wie Spanien Omikron zur grippeähnlichen Erkrankung erklären, selbst Impfpflicht-Vorreiter Österreich „die Masken fallen lässt“, malt Lauterbach zusammen mit seinem Souffleur und Ober-Virologen Christian Drosten schon wieder den nächsten Corona-Teufel an die Wand. Andere – wie Ulf Dittmer, Leiter des Instituts für Virologie an der Essener Universitätsklinik – halten das für reichlich überzogen. Wie viele andere seiner Zunft ist er überzeugt: „Es gibt evolutionär keinen Weg zurück zu einem tödlicheren Virus". So hechelt die Regierung einem Impfpflichtgesetz hinterher, das keiner mehr braucht. Merz muss dazu nur schweigen.
Die Grünen haben sich mit Ricarda Lang und Omid Nouripour soeben eine neue Führungsspitze gegeben, die man ernst zu nehmen erst noch lernen muss. Und das ungekrönte Haupt der Partei, Robert Habeck, fällt wirtschafts- und klimapolitisch durch die erste Prüfung – was seiner Parteifreundin Annalena Baerbock schon zuvor gelungen war.
Vorfreude auf rhetorisch scharfe Bundestagsdebatten
Die FDP ficht in der Regierung einen Kampf mit sich selbst aus. Sie tut sich schwer, bei der Frage zur Impfpflicht und in der Haushalts- und Finanzpolitik ein liberales Gesicht zu wahren. Genau das ist das Feld des Friedrich Merz. Er hat mit Christian Lindner eine rhetorischen Gegner auf Augenhöhe im Bundestag. Ich freue mich schon jetzt auf diese Auseinandersetzung. Merz wird Lindner gehörig Feuer machen. Und er hat es leicht. Denn als Erzrivale von Kanzlerin Angela Merkel kann er sich von deren Entscheidungen in der Finanzpolitik – etwa dem Zugeständnis gemeinsamer Schulden in der EU und der faktischen teilweisen Schuldenübernahme – glaubhaft frei machen. Hier kommt ihm sogar zugute, dass er so lange von der politischen Bühne verschwunden war.
Und nicht zuletzt räumt ihm auch die AfD das rechte Feld. Sie manövriert sich vom rechten Spielfeld Schritt um Schritt ins Aus. Mit Jörg Meuthen verlässt einer der letzten, relativ bekannten Gemäßigten das (sinkende?) Schiff. Die Partei hat oftmals die richtigen Themen im richtigen Moment angesprochen: Euro- und Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Politik. Nur hat sie dabei vielfach nicht den richtigen Ton getroffen. Sie hat die falschen Leute gehalten und die richtigen ziehen lassen. Anfangs mit hoher wirtschaftspolitischer Kompetenz ausgestattet, sucht man diese in der Partei inzwischen vergebens. Die Folge: Erneut werden viele Konservative heimatlos. Merz muss sie nur noch ein wenig locken und dann einsammeln.
Fortunas Zuneigung gewonnen
Das steile Comeback von Merz zeigt auch, wie schnell Fortuna in der Politik ihre Zuneigung wendet. Das gilt für Personen ebenso wie für Parteien. Und so wie Scholz in seinem Lauf, den er fraglos im letzten Jahr hatte, gerade über die eigenen Füße stolpert, kann es Merz natürlich auch gehen.
Fazit: Ein wichtiger Meilenstein werden die Landtagswahlen im Frühjahr werden. Gelingt es Merz, den (schnell bröckelnden) Trend pro SPD zu drehen – zumindest in Schleswig-Holstein und NRW sieht es ganz danach aus –, „frisst“ ihm die Partei aus der Hand. Und CSU-Mann Söder kann sich direkt ins 2. Glied einreihen, erwartet Ihr Ralf Vielhaber