Der kleinste gemeinsame Nenner
Es ist eine Frage, die Sie sich gewiss in letzter Zeit ebenso häufig gestellt haben wie ich mir: Warum versteht der oder die meine Argumente nicht? Natürlich geht es um das Thema, das alle und alles beherrscht: Corona.
Ich habe gemerkt, wie schwer es ist, andere Standpunkte hinzunehmen, bei denen ich selbst den Kopf schüttele. Und habe gespürt, dass es Ihnen umgekehrt genauso geht. Wie kann man nur …
Der Leser sieht es so oder so
Auch durch unsere Leserschaft geht der „Riss“. Manche sind erzürnt über unsere Argumentation, andere verwundert, wieder andere kommunizieren unbedingte Zustimmung. Glücklicherweise waren die allermeisten Zuschriften inhaltlich weit weg von den oft hässlichen und gehässig-scharfen Kommentaren, die in sozialen Medien und anonymen Einwürfen im Netz so oft zu lesen sind – und leider auch zunehmend in etablierten „Qualitätsmedien“. Danke dafür.
Versuch, den Blick zu weiten
Wir wissen, dass wir mit unserer Position nicht die Mehrheitsmeinung vertreten. Dennoch glauben wir Ihnen zu nützen, wenn wir Ihnen hin und wieder einen anderen Blick „auf die Dinge“ eröffnen. Stur auf Basis von Fakten. Auch wenn das bei manchem Unwohlsein auslöst. Weil wir seinen Standpunkt erschüttern. Das ist nicht immer leicht auszuhalten.
Corona ist gnadenlose Natur
So wie diese Erkenntnis: Das Virus konfrontiert uns mit dem „natürlichen“ Ausleseprozess. Es wirkt tödlich bei den Alten und Geschwächten. Den Jungen und Jüngeren kann es wenig bis nichts anhaben. 1% der an Covid-19 Verstorbenen in Deutschland ist unter 50 Jahre alt. 32% sind 50 bis 80 Jahre alt, 67% sind 80 und älter.
Die hiesige Politik hat sich entschlossen, den aus ihrer Sicht größtmöglichen Schutz für alle bieten zu wollen. Dazu schränkt sie die Grundrechte ein, ruiniert Existenzen und fragt nicht nach den Kosten. Die Gesellschaft teilt sich in etwa 70%, die die Regierungsmaßnahmen begrüßen und 30%, die sie wie wir kritisieren und die Lockdown-Strategie ablehnen.
Hotspot Pflegeheim
Ein häufig gebrauchtes Bild, die gravierenden Maßnahmen zu rechtfertigen, lautet: Man muss eben löschen, wenn die Hütte brennt. Ich sage: Man sollte da löschen, wo es wirklich brennt. Und nicht gleich die ganze Stadt unter Wasser setzen.
Wir kennen längst die „Brandnester“. Es sind – verzeihen Sie den Vergleich – die Alten- und Pflegeheime. Hier hätten die Vorsorgemaßnahmen konsequent ansetzen müssen. Hier könnten wir die größte Wirkung erzielen. Doch das wurde versäumt. So berichtet der Tagesspiegel Checkpoint diese Woche: „Fast drei Viertel der Betroffenen haben sich erst in den vergangenen vier Wochen – also im neunten Monat der Pandemie – angesteckt. Die in Heimen Verstorbenen machen mehr als die Hälfte der Berliner Corona-Toten aus.“
Die Gefährdeten schützen
Statt die Jungen zu verurteilen, die leben und arbeiten wollen, sollten wir uns schämen, welche Zustände in den Alten- und Pflegeheimen – nach neun Monaten Pandemie und Hunderten von Milliarden an staatlichen Ausgaben – herrschen. Wir haben sie zu Sterbeheimen werden lassen. Zu Elendsquartieren. Das war Politikversagen.
Aber ich finde auch, dass wir keinen Vollkaskoschutz beanspruchen können. Auch nicht in der Pandemie. Wer alle Risiken ausschließen will, muss sich selbst isolieren. Aber er kann nicht verlangen, dass es aus Solidarität auch alle anderen tun. Und dabei auch noch ihre eigene Existenz opfern. Das geht zu weit.
Corona: bald Geschichte, aber …
Corona wird hoffentlich in einem Jahr weitgehend Geschichte sein und die Grundrechte wieder intakt. Doch die Pandemie wird tiefe Narben hinterlassen in Gesellschaft und Wirtschaft. Wir werden noch sehr, sehr lange mit den Folgen zu kämpfen haben.
Es wird uns enorm fordern und es bleibt zentral für das Gemeinwesen, den Spannungsbogen der Meinungen auszuhalten. Ich lese täglich, wie diese Fähigkeit, die eine Demokratie ausmacht, mehr und mehr schwindet. Voran in vielen Medien, in denen zunehmend missionierende Identitätsjournalisten das Zepter führen.
Eine diverse Gesellschaft findet eben manchmal nur einen ganz kleinen gemeinsamen Nenner. Doch wenn der auch noch verloren geht, wird’s insgesamt nicht mehr funktionieren. Wir können streiten, aber wir sollten uns nicht diffamieren. Wenn uns das 2021 wieder ein bisschen besser gelingt, kann das neue Jahr ein gutes werden. Frohe Weihnachten wünscht Ihr Ralf Vielhaber
Hinweis: Eine ausführliche Fassung meines Kommentars lesen Sie auf unserer Webseite unter ....