Die Botschaft von Bocholt
Markus Söder macht sich bereit, das Steuer bei der Union zu übernehmen. Sein Wahlkampfauftritt in Bocholt, im Wahlbezirk von Henrik Wüst, war mehr als nur Wahlhilfe für den Parteifreund – es war Werbung in eigener Sache.
Die CSU hatte im alten SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen stets einen schweren Stand. Doch seit die AfD die rechte Seite des politischen Spektrums besetzt hält, die einst Franz Josef Strauß dominierte, wirkt die CSU für viele gemäßigter. Söders Botschaft: Seht her, der evangelische Franke, Vater von vier Kindern, der das wirtschaftlich erfolgreichste Bundesland führt, ist auch für enttäuschte Sozialdemokraten wählbar.
Union unter Druck – Merz verliert Vertrauen
Die Wahlumfragen erschrecken die Union. Immer häufiger ist der blaue Balken der AfD gleichauf oder sogar länger als der schwarze der CDU. In Thüringen ist eine absolute Mehrheit für die AfD nicht ausgeschlossen. Auch im Westen wächst ihr Zuspruch stetig.
Der Vater dieses (erneuten) blauen Aufschwungs ist Friedrich Merz. Seine Glaubwürdigkeit ist auf dem Tiefpunkt. Seine politischen Volten haben dem deutschen Sprachschatz das Verb „merzen“ hinzugefügt – heute das Gegenteil von dem tun, was man gestern angekündigt hat. Diese Beliebigkeit ist die einzige Konstante seiner Amtszeit.
Söder als strategische Alternative
Die Chance der ersten 100 Tage hat die Regierung vertan. Sozialreformen, die diesen Namen verdienen, sind faktisch unmöglich geworden. Damit verpufft auch jede Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung – Vertrauen und Erwartungen der Wirtschaft sind längst verflogen.
Merz scheint sein wichtigstes Ziel erreicht zu haben: einmal Kanzler zu sein und die Schmach zu tilgen, die ihm Angela Merkel vor 25 Jahren zufügte, als sie ihn als Fraktionsvorsitzenden ablöste. Ansonsten glänzt er durch Beliebigkeit.
Wüst oder Söder – Zwei Szenarien für die Union
Wüst und Söder stehen für unterschiedliche Szenarien. Geht es darum, den Kanzler auszutauschen und mit der SPD weiterzuregieren, ist Wüst der richtige Mann. Kommt es zum Bruch der Koalition, wäre Söder im Vorteil.
Wüst bringt dabei durchaus eigene Stärken mit: Er steht klar für die Brandmauer zur AfD, gilt als verlässlich, verbindlich und europafreundlich. In Nordrhein-Westfalen profilierte er sich mit Infrastruktur- und Familienpolitik, vor allem aber mit einem pragmatischen, konsensorientierten Stil. Als Vertreter einer jüngeren Generation könnte er die CDU verjüngen, wirkt seriös und solide – auch wenn ihm bundespolitisch noch das Charisma fehlt.
Söder – flexibel, aber unberechenbar
Söder hat bundesweit deutlich höhere Beliebtheitswerte als Wüst, der vor allem in NRW stark verankert ist – dort liegt auch der Heimatwahlkreis Hochsauerlandkreis (Wahlkreis 146) von Friedrich Merz.
Unumstößliche Grundsätze darf man bei Söder noch weniger erwarten als bei Merz. Seine Kehrtwenden in der Flüchtlingspolitik, gegenüber den Grünen, in der Umwelt- und Energiepolitik sowie in der Coronapolitik sind legendär. Im Osten kommt Söder (deshalb) besser an als der Merkel-Nachfolger Hendrik Wüst. Seine Haltung zur illegalen Zuwanderung ist uneindeutig.
Die Brandmauer wankt
Das macht ihn für Anhänger der Brandmauer unzuverlässig. Für Strategen in der Union, die wissen, dass die Partei als freiwillige Gefangene der linken Parteien keine Zukunft hat, wird Söder zum Hoffnungsträger. Er ist der Einzige, dem man zutraut, die Brandmauer zu überwinden und politisch zu überleben. Während Merz von Tagesfragen getrieben scheint, versteht Söder es, seine Wendungen als Strategie zu verkaufen. Er inszeniert den Schwenk als Führungsstärke – genau darin liegt sein Vorteil.
Bei Wüst ist klar: Die Brandmauer bleibt – notfalls bis zum Untergang der CDU. Wüst ist der Typ Schwiegersohn, wie einst Christian Wulff. Die Kommunalwahl wird für ihn zum Lackmustest: Räumt die AfD in migrantischen Brennpunktstädten wie Hagen, Wuppertal oder Duisburg ab, ist Wüst als Merz-Konkurrent erheblich geschwächt.
Söder – das politische Chamäleon
Söder ist auch charakterlich ein Chamäleon: mal der nette Typ von nebenan, mal die politische Dampfwalze. Bei der Stammwählerschaft der Union, den Rentnern, punktet er mit der Mütterrente 2.0 und einer Sozialgesetzgebung ohne Abstriche. Nur: Bayern kann sich das leisten – der Bund nicht mehr.
Was man Söder zutraut: sich nicht wie Merz vom kleinen Koalitionspartner am Nasenring durch die Manege führen zu lassen. Anders als Merz weiß Söder, wie man Positionen räumt, ohne sich zu blamieren. Ein „Bullshit“ von der Parteivize des Koalitionspartners hätte er nicht unkommentiert gelassen.
Showdown im Herbst
Totgesagte leben länger – gerade in der Politik. Das gilt auch für Friedrich Merz. Doch die kommenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern kann die CDU nicht ignorieren.