Die Nerven behalten
Auf den Märkten macht ein Wort die Runde, das Anleger nicht gerne hören: Crash. Grund: Die Zinswende setzt die hoch bewerteten realen Anlagen (Aktien, Unternehmensbeteiligungen, Immobilien) einem Härtetest aus. Es wäre nicht der erste seit der Jahrtausendwende:
- 2002 entwich die Luft aus der Techblase ("Neuer Markt")
- 2008 brach die Investmentbank Lehman Brothers zusammen und löste eine Finanzkrise in den westlichen Industrieländern aus
- 2010 stand Griechenland vor der Pleite und musste von Europas Staaten herausgepaukt werden
- 2010 bis 2012 folgte die Eurokrise, die mit der Ausweitung des EZB Mandats (EZB-Chef-Mario Draghi: „whatever it takes to preserve the Euro“) endete
- 2020 zwang Corona die Märkte kurzzeitig heftig in die Knie
- Dazwischen gab es mehrere Beinahe-Crashs auf deren Aufzählung ich hier verzichte.
Vor dem nächsten Stresstest
Nun steht der nächste Stresstest bevor. Und Sie sollten sich wappnen. Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Shiller erwartet eine Phase ähnlich wie die vor dem großen Crash 1929 mit ausgeprägten Auf- und Abwärtsbewegungen. Ein Großteil der Anleger ist überzeugt, dass reale Assets überbewertet sind (so viele wie noch nie seit der Jahrtausendwende).
Im amerikanischen Leitindex S&P 500 beträgt das um die Kurs-Gewinn-Verhältnis (PE Ratio) nach Shillers Berechnungen 40. Das ist nahe dem Spitzenwert aus dem Jahr 2000 von 44. Andererseits wollen alle bei Korrekturkursen wieder einsteigen. Denn sie glauben daran, dass die Märkte nach Korrekturen wieder kräftig ansteigen. Und noch immer sind Aktien gegenüber Anleihen die bessere Wahl. Doch so zu handeln ist eine riskante Strategie.
Notenbanken als multifunktionale Retter
Alle zurückliegenden Stresssituationen in diesem Jahrtausend fingen die Notenbanken auf. Sie pumpten immer wieder Geld in die Märkte, drückten die Zinsen und blähten den Wert von Finanzanlagen, Immobilien und Unternehmen auf diese Weise auf. Das konnten sie tun, denn die Inflation schien tot. Die Geldmenge, früher ein wichtiges Steuerungsinstrument der Notenbanken, spielt seit längerem keine tragende Rolle mehr.
Diesmal aber ist alles anders. Die Inflation hat sich zurückgemeldet. Und nicht nur ein wenig, sondern mit Raten, die die Experten immer wieder aufs Neue überraschen. 7,5% in den USA, und das bei einer Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel) von 6%.
Kursänderung: Für die EZB besonders schwierig
Die Notenbanken müssen ihren Kurs ändern. Die Fed ist dazu bereit, die EZB eiert herum. Denn sie hat sich in ein Dilemma begeben, aus dem es keinen geschmeidigen Ausweg gibt. Vorrangig ist die EZB der Geldwertstabilität verpflichtet. Offenbar voller Ahnung, dass sie vor einer heiklen Situation steht, hat sie ihr geldpolitisches Regime geändert. 2% Inflation sind jetzt ein Durchschnittswert über einen längeren Zeitraum.
Das lässt viel Handlungsspielraum. Aber nutzt die EZB diesen aus, riskiert sie ihre ohnehin angeschlagene Reputation. Sie hat aber auch die Haushaltsfinanzierung insbesondere der Südzone Europas übernommen. Und noch immer verlassen sich die Märkte darauf, dass die EZB als Staatenretterin fungiert: Die Zinsspanne zwischen deutschen und italienischen Staatanleihen (Spread) kommt von einem Zwischenhoch bei 2% schon wieder zurück.
Steigen die Zinsen, korrigieren reale Assets
Die natürliche Markt-Reaktion auf steigende Zinsen ist eine Wertkorrektur realer Anlagen. Ob sie in einem Crash mündet (definiert als 30% bis 50% Kursverluste)? Ich denke immer noch: Vorerst – mit Blick auf die nächsten fünf Jahre – nicht. Denn inzwischen sehen sich die Notenanken als multifunktionale Eingreiftruppe. Sie könnten selbst in die Aktienmärkte gehen, wenn eine Korrektur zu stark wird.
Ein neues 1929 wird die Fed jedenfalls nicht zulassen. Denn es hängen zu viele Existenzen an den Aktienmärkten. Darunter die Altersvorsorge in den westlichen Ländern. Die Amerikaner haben 30% ihrer Vermögen direkt im Aktienmarkt investiert. Somit hätte ein Aktienmarktcrash in vielen Ländern auch einen sozialen Crash zur Folge. Eine Wertaufholphase von zehn und mehr Jahren wäre für die Babyboomer-Generation mit einem Jahrzehnt relativer Armut gleichzusetzen. Das passt nicht in die "politische Denke" der heutigen Zeit. Während der Tech-Krise dauerte es insgesamt sechs Jahre, bis die Aktien ihr Ausgangsniveau vor dem Absturz wieder erreicht hatten, im Finanzcrash 2008 waren es gute vier Jahre. Jedes Mal unterstützten bereits Regierungen und Notenbanken die Märkte.
Liquiditätshaltung ist sehr teuer
Dennoch sollten Sie sich nur bedingt auf die Notenbanken und ihre Fähigkeiten verlassen. Was derzeit geschieht, ist einerseits geldpolitisches Neuland und zudem eine Operation am offenen Herzen.
Ist Cash jetzt king? Leider nein. Als Anleger könnte man sich auf die Strategie einlassen, Hochphasen der Aktienmärkte zu (Teil-)Verkäufen zu nutzen. Das zentrale Problem ist, dass das Markt-Timing in der Regel schief geht. Selbst wenn Sie beim Ausstieg ein glückliches Händchen haben – Sie sitzen schnell auf einem Haufen Geld, weil Ihnen der Markt davongelaufen ist. Liquidität aber ist so teuer, wie seit 4 Jahrzehnten nicht mehr. Bei Preissteigerungsraten von über 5% schmilzt der Wert von Barem wie Butter an der Sonne. Das macht es so schwierig, mit der Situation umzugehen.