Die vergessene Systemlogik
Kinder gehören in den Mittelpunkt der Sozialstaats-Reformdebatte. Der deutsche Sozialstaat ist ein Produkt deutscher Politik, das seine Sättigungsphase längst überschritten hat und sich in der Degenerationsphase befindet. Das Schlüsselprodukt der Sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung ist in die Jahre gekommen. Es leistet immer weniger und wird zugleich immer teurer.
Ein solches Produkt verschwindet normalerweise vom Markt. Oder es wird runderneuert. Vor dieser Wahl steht die jetzige schwarz-rote Regierung, die den „Herbst der Reformen“ ausgerufen hat. Im Mittelpunkt stehen Rente, Pflege und die Sozialleistungen für jene, die ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen bzw. stellen wollen (Bürgergeld).
Die Debatte läuft in die falsche Richtung, bevor sie richtig begonnen hat
Schon bevor die Koalition erste konkrete Maßnahmen vorgeschlagen hat, bewegt sich die öffentliche Debatte in eine falsche Richtung. Schuld an der Misere seien die Babyboomer, tönt es selbst aus der Ecke marktliberaler Reformer wie dem Generationen-Gerechtigkeitsforscher Prof. Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg. Sie hätten – sozusagen als Kohorten-Kollektiv – zu wenige Kinder bekommen. Sollen sie also nun bitte schön die Suppe auslöffeln. Heißt konkret: auf einen Teil ihrer Alterszahlungen aus den Sozialsystemen verzichten.
Doch das ist eine ebenso fehlerhafte wie – mit Verlaub – dumme Aussage. Generationen bekommen keine Kinder. Kinder sind immer eine individuelle Entscheidung. Und von dieser Ausgangslage müssen Reformen ausgehen.
Kinder sind grundlegend für unsere Sozialsystem
Richtig und entscheidend für die Reformdebatte ist: Kinder sind konstituierend für unsere sozialen Sicherungssysteme. Sie allein sind deren Bestandsgarantie. Alles andere ist Überbau. Jede Generation zahlt für ihre Eltern in die Sozialversicherung ein, nicht für sich selbst. Der Beitrag für die eigene künftige Versorgung sind die eigenen Kinder. Wer keine hat, zahlt auch nichts für die Zukunft ein, sondern – vereinfacht gesagt – nur für die Vergangenheit, für die eigenen Eltern. Warum sollte er also etwas herausbekommen?
Der Sozialstaat hat diesen Zusammenhang vernebelt. Deshalb muss er entschleiert werden, bevor die Debatte unter irrtümlichen Vorzeichen weiterläuft.
Wer keine Kinder hat, zahlt künftig doppelte Beiträge.
Mein Vorschlag: Wer keine Kinder hat, zahlt künftig doppelte Beiträge. Einen für seine Eltern, den anderen für sich selbst. Das Steuersystem wird gleichzeitig nivelliert: ein Einkommensteuersatz gilt für alle. Das ist keine Strafe, sondern ein fairer Ausgleich im Umlagesystem.
Die Debatte wird zerredet, bevor sie losgeht
Ich weiß schon, wie es nun weitergeht. Sonderfälle werden in den Mittelpunkt der Debatte gerückt mit dem Ziel, diese zu zerreden. Natürlich muss sich ein Sozialstaat um jene kümmern, die unverschuldet aus dem Raster fallen. Natürlich können Kinder auswandern, arbeitslos werden oder selbst Sozialleistungen beziehen. Natürlich wirkt eine solche Umstellung nur langfristig und löst das aktuelle Finanzproblem der Sozialversicherung nicht. Natürlich verändern qualifizierte (!) Einwanderung, höhere Produktivität usw. die Rahmenbedingungen. Aber faktisch sind diese Überlegungen bisher vor allem eines geblieben: Wunschdenken. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus.
Einwände ziehen nicht
Ergo: Keiner dieser Einwände zieht. Denn er ändert nichts an der Grundlage, dass das deutsche Sozialversicherungssystem (Rente, Pflege, Krankenversicherung) biologisch und demografisch abhängig ist, solange es im Umlageverfahren funktioniert. Die normativen Prinzipien unseres Sozialstaates (Solidarprinzip) können nicht dauerhaft gegen ihre faktische Grundlage bestehen.
Mein Vorschlag ist daher kein moralisches Urteil, sondern eine ökonomische Konsequenz.