Ein neuer Soli
Der Politikgelehrte und „Armutsforscher“ sowie spiritus rector der Partei Die Linke, Christoph Butterwegge, ist einer meiner Lieblingswissenschaftler. Er kommt auf Ideen, auf die ich selbst nie kommen würde. Dazu gehört nicht nur, sich als Kandidat der Linken für das Bundespräsidentenamt aufstellen zu lassen. Jedenfalls, er bringt er mich weiter. Meist festigt er intellektuell meinen bereits eingeschlagenen Weg, und das finde ich wertvoll.
Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben und wieder einen Vorschlag in die Welt gesetzt, der mich nachdenklich macht: Aus dem Soli soll ein Corona-Soli werden. Für alle in der jüngsten Krise Zukurzgekommenen. So erhielte eine Sonderabgabe aus der Zeit der Wiedervereinigung endgültig eine Ewigkeitsgarantie: Man widmet sie immer wieder um.
"Die Ungleichheit nimmt zu"
In Butterwegges Buch geht es um „sozioökonomische Ungleichheit“. Die nehme, so der Politikwissenschaftler, auch in Deutschland weiter zu. Sie beschränke sich nicht auf die asymmetrische Verteilung von Einkommen und Vermögen, sondern erstrecke sich auf fast alle Lebensbereiche. Woher Butterwegge seine Einsichten nimmt, muss ich noch feststellen. Das Statistische Bundesamt hat jedenfalls gerade festgehalten, dass noch nie so wenige Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung dastanden wie derzeit (FB 21.9.).
Butterwegge nimmt drei Lebensbereiche besonders fest in den Blick: Bildung, Wohnen und Gesundheit. Überall sieht er massive Ungleichheit wirken. Schuld ist der Staat, also wir alle. Der Spiegel bebildert den Artikel zum Buch mit einem Plakat der Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam: „Euer Luxus ist unsere Armut“. Das ist eine Weltsicht, in der Arm und Reich, Gut und Böse klar verteilt sind.
Weltbild mit Lücke
Lieber Herr Butterwegge, ich will Ihnen gar nicht eine volle Breitseite Contra geben, hier und da haben sie sicher recht. Aber ich möchte Sie einmal darauf hinweisen: Ihr polit-ökonomisches Weltbild hat eine Lücke. Eine gewaltige sogar. So groß, dass sie möglicherweise hindurchsehen. Sie übersehen den Faktor Zeit. Sie wissen doch: Zeit, frei verfügbare Zeit, ist Geld. Wer sie hat, ist Zeit-reich. So mancher, der sich finanziell alimentieren lässt, hat da ein übervolles Konto. Davon reden und schreiben Sie (soweit ich weiß) aber nie. Der verstorbene FDP-General Guido Westerwelle hat es einmal gewagt, und dafür einen Shitstorm geerntet.
Ein Soli für die Zeit-Armen
Die Antwort: Ich bin Zeit-arm. Wo bleibt also mein Recht auf Teilhabe an solchen Vergnügungen? Ich plakatiere daher zurück: „Euer Luxus ist meine Armut!“ Mein Vorschlag: Mein Geld gegen eure Zeit. Vorher mag ich nicht über den nächsten Soli reden.
Herzlich grüßt Ihr Ralf Vielhaber