Falsche Versprechen
Historische Momente wirken nach. Sie bleiben fest im Gedächtnis eines Volkes verankert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes so formuliert: „Es gibt kein Ende des Erinnerns. Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte.“ Die aber umfasst noch mehr Ereignisse von historischer Tragweite.
Ein Schritt mit Folgewirkung war die Abschaffung der D-Mark. Die D-Mark war mehr als ein schnödes Zahlungsmittel. Sie hatte in Deutschland Symbolkraft. Sie stand für den Neuanfang, das Wirtschaftswunder, war ein Wohlstandsversprechen. Deshalb machte die Politik bei ihrer Abschaffung speziell den Deutschen einige Zugeständnisse. Versprechen, von denen sie wissen musste, dass sie eines Tages auf den Prüfstand gestellt werden würden.
Das Stabilitätsversprechen erfüllt?
Dazu gehörte das Stabilitätsversprechen. Wer will, kann es als erfüllt ansehen: Die Inflationsrate im Euro liegt seit seiner Einführung im Schnitt unter den von der EZB angestrebten 2%.
Wer unter dem Stabilitätsversprechen jedoch auch die Stabilität der europäischen Finanzarchitektur versteht, wird nicht behaupten, dass es eingehalten wurde.
Zusicherung solider Finanzen
Ein Bestandteil war die Zusicherung solider Finanzen in Europa. Das wurde schon nach wenigen Jahren mit tatkräftiger Unterstützung der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder abgeschafft.
Dazu gehört aber auch die Versicherung, dass jedes Land im Euro weiter für seine Schulden aufkommen muss. Dies ist sogar in den Europäischen Verträgen verankert. Dies steht schon lange infrage, seit die Europäische Zentralbank die Schulden der Eurostaaten ankauft.
EuGH erteilt EZB Freibrief
Juristisch schien das Thema geklärt: par ordre de Mufti, durch den Europäischen Gerichtshof. Er gab der EZB 2018 einen Freibrief. Er hätte auch sagen können: Was stört mich das Geschwätz von gestern, erst recht das von deutschen Politikern.
Nun: Andere stört es. Es gibt immer noch eine deutsche Verfassung, das Grundgesetz. Wer sich als Bürger dieses Landes in seinen Grundrechten beeinträchtigt sieht, kann in Karlsruhe klagen. Und nur dadurch, dass die Beeinträchtigung von Brüssel oder Frankfurt ausgeht, wird sie nicht automatisch legitimiert.
Bundesverfassungsgericht hält dagegen
Jetzt ist das Bundesverfassungsgericht – nach etlichen Warnschüssen – den Freibrief-Europäern in die Parade gefahren. Und schon ist das Geschrei groß. Wie kann es ein nationales Gericht nur wagen? Und welches Vorbild gibt man da den anderen Europäern? Den Polen, den Ungarn? Sollen die sich etwa auch auf ihre nationalen Verfassungen berufen dürfen?
Die Überlegung zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirkt auf mich vor dem oben dargestellten Hintergrund wie ein Treppenwitz der Geschichte. Wie hatte es der vormalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker formuliert, als Paris immer wieder die Haushaltsregeln verletzte? Frankreich ist eben Frankreich. Nun: Deutschland ist eben Deutschland. Und Art. 23 des Grundgesetzes erlaubt es, dem Anwendungsvorrang des Europarechts Grenzen zu setzen.
Aus Blau mach Grün
Was beim Euro passiert, ist ein Lehrstück europäischer Staatskunst – die mit ihren Winkelzügen zunehmend an Grenzen stößt. Man verspricht bei Gemeinschaftsprojekten zunächst das Blaue vom Himmel, in jedem Land ein wenig anders, und biegt und beugt dann, bis aus Blau Grün wird. Das verkauft man dann als europäischen Kompromiss, gegen den sich bitte niemand empören oder gar wehren soll, denn dann stellt er ja Europa infrage und damit den Frieden. So war es auch beim Euro.
Fazit: Man kann den Verfassungsrichtern nicht vorwerfen, dass sie das den Europäern gerade klarmachen. Wer darüber meckert, argumentiert mindestens geschichtsvergessen. Herzlich grüßt Ihr Ralf Vielhaber
Und jenseits aller Juristerei (die in Luxemburg oft sehr eigene Wege geht) sollte man nicht vergessen: Der EuGH ist ein König ohne Reich, es gibt nach wie vor keinen europäischen Staat und keine europäische Öffentlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat zumindest 82 Mio. Deutsche hinter sich.