Freiheit für alle
Sauerbier hat einen neuen Namen, zumindest in Deutschland: Es ist der Impfstoff von AstraZeneca. Gäbe es hier einen freien Markt, wie Blei würden die Ampullen in den Lagern der Apotheken liegen. Es ist vor allem das angeblich besonders gefährdete Personal in Arztpraxen und Pflegeheimen, das nur widerwillig den angebotenen Schutz annimmt – wenn überhaupt.
Ich kann es ihnen nicht verdenken. Der Impfstoff von AstraZeneca wird aufgrund der vorhandenen Datenbasis Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen. Wer unter 60 Jahren alt ist, hat ein Risiko, ohne Impfung schwer und mit langen Folgewirkungen zu erkranken, das gegen null geht. 2.265 Menschen im Alter bis 59 sind in unserem Land bisher an und mit Covid gestorben. Von 59,5 Millionen Menschen. Das sind 0,004% dieses Bevölkerungsteils. Und auch diese Gruppe lässt sich weiter eingrenzen: Ernstlich „gefährdet“ sind hier jene mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes, neurologische Störungen, Lungen- oder Nierenerkrankungen. Sie gelten als anfällig. Haben Sie diese Zahlen schon mal im Radio oder TV gehört?
Schnelles Denken, langsames Denken
Der Nobelpreisträger Ökonom und Psychologe Daniel Kahnemann hat 2012 in seinem Buch "Schnelles denken, langsames Denken" die Macht der Zahlen für die Manipulation von Menschen deutlich gemacht. Seine Erkenntnis: Wir werden niemals immer und überall optimal handeln. Wichtige Entscheidungen bleiben unsicher und fehleranfällig. Doch es gibt zahlreiche Situationen, in denen wir die Qualität und die Folgen unseres Urteils entscheidend verbessern können. Versuchen wir es also mit Rationalität.
Die Schützlinge von Ärzten und Pflegern sind bald alle vor Covid geschützt. In 65 Tagen, also Anfang Mai, ist es beim aktuellen Impftempo so weit. 2,03 Millionen Menschen sind heute vollständig geimpft. Die meisten davon gehören der primär gefährdeten Altersgruppe über 80 an, die 5,7 Mio. Menschen umfasst. Danach kommen weitere 7,6 Millionen im Alter von 70 bis 80. Zusammen etwa 10% der Bevölkerung. Sie können dann nicht mehr gefährdet werden.
Wer eine Impfung hat, muss sich vor den Nicht-Geimpften nicht fürchten
Und wenn Sie demnächst in eine Kneipe gehen, sind bestenfalls noch jene ansteckungsgefährdet, die dieses Risiko freiwillig eingehen. Wer eine Impfung hat, muss sich vor den Nicht-Geimpften nicht fürchten, nicht in der Bahn, nicht im Flugzeug, nicht am Strand und nicht im Konzert, nirgends.
Ein bisschen krank aber wird man mit hoher Sicherheit durch die Impfung selbst. Und wie lange sie vorhält, wie sie sich möglicherweise mit anderen Impfstoffen – auch bei Folgeimpfungen gegen Covid – verträgt, was sie wirklich gegen Covid-Mutanten ausrichtet – die wissenschaftliche Impfberichte, auf die mich Paul-Ehrlich Institut und die Ständige Impfkommission auf meine Nachfragen hin verweisen, geben dazu wohlweislich keine konkrete Auskunft.
Freiheit nur für Geimpfte? Es gibt keine Begründung
Es sind viele Juristen, die besonders nachdrücklich auf die Rückgewinnung der selbstverständlichen Freiheitsrechte im Grundgesetz pochen. Freilich nur für Geimpfte. Mit dem Hinweis, dass (nur?) diese keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellten. Das ist schiere Willkür.
Unerwähnt bleiben meist jene, die bereits erkrankt waren und Antikörper gebildet haben. Sie sind selbst geschützt und ebenso wenig wandelnde Corona-Herde wie Geimpfte. Das bestätigt das RKI: „Es ist davon auszugehen, dass Personen, die von einer SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19 genesen sind zumindest vorübergehend über einen gewissen Schutz vor einer Erkrankung verfügen.“ Zumindest vorübergehend: Mehr lässt sich derzeit auch zu den Impfungen nicht sagen. Übrigens: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich Menschen mit Vorerkrankungen nicht impfen lassen können. Ein Verweis auf gebotene Solidarität gegenüber Nicht-Impffähigen entfällt.
Es gibt keinen absoluten Schutz
Sobald alle die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen, bleibt noch die Kategorie der kühlen Rechner übrig. Der Selbstentscheider, der seine individuellen Risiken selbst abwägen möchte. Gemäß der Stellungnahme von Christian Drosten im NDR-Podcast: Von eigentlichem Interesse sei doch aber, "ob wir gegen den schweren Verlauf geschützt sind", so Drosten. Dem stimme ich zu. Dann darf man auch den natürlichen Schutz durch junges Alter und gute Gesundheit dazuzählen. Einen absoluten gibt es ohnehin nicht, weder mit, noch ohne Vakzine.
Welches Ziel verfolgt der Impfausweis?
Der WHO-Regionaldirektor Hans Henri Kluge sagt bereits, die schlimmsten Szenarien seien nun vorbei. "Es wird weiterhin ein Virus geben, aber ich glaube nicht, dass Einschränkungen nötig sein werden.“ Die Wissenschaftszeitschrift Science publiziert eine Studie der Universitäten in Atlanta und Pennsylvania unter Leitung der Biologin Jennie Lavine mit der Prognose, dass das Coronavirus bald "endemisch" werde, sich also nur noch örtlich begrenzt weiter verbreite. Dadurch werden Impfungen für die unter 60-Jährigen noch unsinniger, erst recht die Verknüpfung von Grundrechten wie der Reisefreiheit mit einem Impfausweis.
Der freiheitliche (und kostengünstige) Weg
Die natürliche Herdenimmunität der Bevölkerung (außer der 70+) wäre jetzt der freiheitlichste, kostengünstigste und somit beste Weg mit der Pandemie umzugehen. Zudem könnten sich die Mutationen so besser ausbreiten und an Gefährlichkeit abnehmen (was sie immer tun – anders als es zu B1.1.7 berichtet wird – und was sich ja aktuell auch klar zeigt).
Ich folge Kahnemann, nicht Spahn. Jeder muss ab Mai seine freiheitlichen Grundrechte uneingeschränkt zurückerhalten. Es gibt keinen Grund, dies dann nicht mehr zu tun. Herzlich grüßt Ihr Ralf Vielhaber