Freund-Feind-Denken verhindert den Frieden
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Deutschen in eine schwere Identitätskrise gestürzt. Das zeigt sich an vielen Stellen in der Politik, den Medien und bei den Menschen. Darum wird derzeit - so wie in der Corona-Krise - fast nur noch Schwarz-Weiß gedacht und auch berichtet.
Das treibt inzwischen Blüten, die ich nur noch schwer aushalten kann. So will das Deutsch-Russische Museum in Berlin Karlshorst jetzt seinen länderspezifischen Beinamen ablegen. Die Berliner Museen haben schon lange ukrainisch beflaggt. Die Rollen - Gut und Böse - sind klar verteilt.
Politisch korrekt, aber unkritisch und falsch
Aus Angst davor, etwas eventuell politisch nicht Korrektes zu sagen und die "Guten" zu kritisieren, werden manche Fakten schon gar nicht mehr gesagt. Parallel dazu werden viele Aussagen nicht hinterfragt. Oder sie werden - selbst wenn offensichtlich falsch oder verkürzt dargestellt - nicht korrigiert.
Das war gerade wieder bei Anne Wills TV-Talk zu beobachten. In dem beschwerte sich Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, unter anderem darüber, dass Deutschland "sieben Haubitzen liefere, sonst nichts". Allein das hätte eine forschen Richtigstellung nötig gemacht - erst Recht in einer Debatte, in der es um die Frage ging, ob die Lieferung schwerer Waffen richtig oder falsch sei. Es wäre zwingend gewesen, Melnyk scharf in die Schranken zu weisen.
Kanzler Scholz manipuliert in seiner Mai-Ansprache und argumentiert im Freund-Feind-Muster
Auch die Ansprache von Kanzler Olaf Scholz am 8. Mai folgte einem klaren Freund-Feind-Muster und eindeutigen Schwarz-Weiß-Narrativen. Russland wolle, so behauptet Scholz, die "Ukraine unterwerfen, ihre Kultur und Identität vernichten." Und bei allem Respekt: Wenn Russland das anstreben würde, hätte es das schon längst erreichen können - mit einer der größten strategischen Luftwaffen der Welt.
Militärisch analysiert folgt der Krieg dagegen einem sehr präzisen und selektiven Muster. Wie wäre es sonst möglich, dass Flixbus schon wieder nach Kiew fährt, etliche Politiker die Stadt besuchen, es mehr Einreisen als Ausreisen in die Ukraine gibt und 1 Million Tulpen als Zeichen des Friedens auf eine großen Platz in der Stadt ausgelegt werde können? Putin selbst hat das von Scholz postulierter Kriegsziel auch nie formuliert. Wer dem Russen-Premier bei seiner Ansprache zum 9. Mai, dem Tag des Sieges, zugehört hat, der konnte solche Aussagen auch nicht vernehmen. Im Gegenteil: Putins Worte waren sogar relativ defensiv.
Papst elektrisiert mit NATO-Aussagen
Sichtbar wurde das auch in den Reaktionen auf das Papst-Statement zum Ukraine-Krieg. Das Kirchenoberhaupt hatte formuliert, dass "das Bellen der Nato vor Russlands Tür" den Einmarsch "womöglich erleichtert" habe. Die Reaktion der deutschen Politik und Medien war prompt und einhellig: Der Papst hat sich als "Putin-Versteher" diskreditiert. Kein Zögern, kein Nachdenken, kein Hinterfragen der Argumente. Denn eine Mitschuld des Westens passt nicht ins Schwarz-Weiß-Bild.
Ich frage mich, wie angesichts dieser Diskussion-Logik eine Konfliktlösung gelingen soll. Im Prinzip geht es nicht mehr um die moralische Überlegenheit. Die liegt fraglos beim Westen, denn Russland hat den Krieg begonnen - mit welchem Motiv oder welcher Begründung auch immer. Allerdings kann es einen Weg zum Frieden auch nur mit Russland geben, ob Europa das nun will oder nicht. Je eher das die Entscheider akzeptieren, desto weniger Menschen werden sterben, leiden und verarmen müssen.