Hamburger Lehrstück in Sachen Demokratie
Der Volksentscheid in Hamburg über die Verschärfung der Klimaziele ist ein Lehrstück über die Stärken und Risiken direkter Demokratie. Gut 300.000 Aktivisten haben mit ihrem „Ja“ das Schicksal einer Millionenmetropole entschieden. Sie zwingen die Hansestadt nun dazu, die Klimaziele schon 2040 zu erreichen, also fünf Jahre früher als bisher geplant.
Dass sich nun viele darüber aufregen, von einer "gut organisierten Minderheit" fremdbestimmt zu werden, ist larmoyant. Der Vorwurf, eine Minderheit würde über die Mehrheit entscheiden, zieht nicht. Aufgerufen zur Stimmabgabe waren 1,3 Millionen Menschen. Mit Ja gestimmt haben 303.000, mit Nein 267.000 Menschen. Aber: 730.000 Hamburger haben gar nicht abgestimmt. Wer nicht zur Abstimmung geht, überlässt anderen das Feld. Diese schweigende Mehrheit darf sich nun nicht beschweren.
Volksentscheid mit Signalwirkung
Der Volksentscheid hat auch wirtschaftlich Signalwirkung. Die Hansestadt steht nun vor einer der ambitioniertesten Klimaschutzoffensiven Deutschlands. Das bedeutet: schnellere Umstellung auf erneuerbare Energien, massiver Ausbau von Wärmenetzen, Gebäudesanierungen in großem Stil und eine drastische Reduktion fossiler Energie im Verkehrssektor. Die Verwaltung muss zudem innerhalb weniger Monate einen verbindlichen Plan für die Umsetzung vorlegen – mit konkreten Sektorzielen und Zwischenetappen.
Dieser forcierte Umbau dürfte die Hansestadt stark herausfordern. Die finanziellen Belastungen sind enorm. Schätzungen zufolge werden Investitionen von über 20 Milliarden Euro erforderlich, um den neuen Pfad einzuhalten. Besonders herausfordernd ist dabei die Sanierung des Gebäudebestands, rund 90 % der Hamburger Immobilien gelten als nicht klimaneutral.
Chancen und Risiken für die Hansestadt
Für Unternehmen folgen daraus Chancen und Risiken. Kurzfristig drohen steigende Kosten, z. B. durch verschärfte energetische Auflagen, strengere Anforderungen bei Bau- und Infrastrukturprojekten. Mittel- und langfristig aber könnte Hamburg zu einem Modellstandort für grüne Technologien werden. Chancen dürften sich für Handwerk, Bauwirtschaft, Energieversorger, IT- und Ingenieurbüros ergeben. Der Bedarf an klimarelevanten Lösungen wird massiv steigen. Gleichzeitig gilt: Hamburg ist künftig ein Standort mit erhöhtem regulatorischem Druck – aber auch mit gesteigertem Innovationspotenzial.
Ich bin ein Verfechter von mehr direkter Demokratie und würde in Sachfragen gern öfter mit entscheiden. Für mich ist Hamburg darum auch ein Paradebeispiel für die Chancen demokratischer Teilhabe und für die Risiken, wenn man diese Möglichkeiten nicht wahrnimmt oder geringschätzt. Das gilt bei Volksentscheiden noch viel mehr als bei Wahlen.