Hamburger Schwanengesang
Hamburg ist 30 Jahre nach dem Mauerfall auch ein Schwanengesang auf die alte Bundesrepublik. Es sind die langjährigen Regierungsparteien der BRD der Vorwendezeit, die in der Hamburg-Wahl erneut Federn lassen müssen. Zusammen genommen verlieren SPD (-6,6%), CDU (-4,7%) und FDP (-2,4%) satte 13,7%. Es gewinnen Grüne (+11,9%), Linke (+0,6%) und Sonstige (+2,0%). Das in einem westlichen Bundesland und einer Hochburg des Bürgertums. Die Sozialdemokraten mögen feiern, dass sie stärkste Kraft geblieben sind. Aber sie sind nach Stimmen dennoch der größte Wahlverlierer.
Wenn ich die Wahlergebnisse in Hamburg richtig lese, ergibt sich für mich folgendes Bild: Die Mitte rückt nach links. Die Grünen sammeln die Wählerstimmen von SPD, CDU und FDP ein – wenn auch nicht vollständig. Der Wähler sucht junge, unverbrauchte Gesichter. Das Wahl-Debakel von Thüringen geht aus Wählersicht auf die Kappe der CDU. Der als rechtsextremer Terror eingestufte Mordanschlag in Hanau kurz vor der Wahl hat offenbar weniger gewirkt als mancher Politiker erwartet, gehofft oder befürchtet hatte – je nach Perspektive. Die AfD verliert nur – für mich unerwartet – 0,8%.
Sechs-Parteien-Parlament als neuer Standard
Damit verfestigt sich das Sechs-Parteien-Parlament. Dass dies trotz Thüringen und Hanau – beides unmittelbar vor dieser Wahl – der Fall ist, ist für mich die eigentliche Überraschung. Die Republik ist politisch bunt geworden. Und der Wähler beabsichtigt nicht, Farbe aus dem Spiel zu nehmen. Mancher wird den erneuten Einzug der AfD in die Hamburger Bürgerschaft auch als Beleg für eine Verfestigung des ganz rechten Lagers sehen – und das möglicherweise zu Recht.
Ich frage mich auch, ob es überhaupt noch ein Bürgertum gibt. Oder was das in der heutigen Zeit ist. Wie weit sind die Grünen eine Partei der Mitte, eine Volkspartei in dem Sinne, dass sie alle Schichten zu binden wissen? Oder sind ihre deutlichen Zugewinne in Hamburg letztlich nicht auch ein Zeichen dafür, dass die Polarisierung zunimmt, die Gesellschaft politisch auseinanderfällt?
Die neue Verantwortung der Grünen
Klar ist für mich, dass die Grünen damit eine neue Rolle und Verantwortung übernehmen. Sie müssen versuchen zu integrieren und zu moderieren, nicht weiter zu polarisieren. Ob sie das wollen, ob ihnen das gelingt, davon wird künftig mit abhängen, wie weit sich die Republik noch polarisiert und radikalisiert. Es grüßt Sie herzlich
Ihr Ralf Vielhaber
Nachtrag: Mit der Nachzählung der Stimmen ist die FDP unter die 5%-Hürde gerutscht. Damit verstärkt sich der politische Trend noch einmal.