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Das westliche Bündnis bietet zu viel Angriffsfläche

Im Osten "Diktatoren", im Westen "Spinner"

FUCHSBriefe-Chefredakteur Ralf Vielhaber. Copyright: Verlag Fuchsbriefe
Die Kräfteverhältnisse der Groß- und Weltmächte und der Regionalmächte werden neu austariert. Unterschiedliche Interessenlagen gehören zum "großen Spiel". Dass aus dem Spiel nicht ernst wird, dafür müssen die – derzeit ausschließlich – Männer sorgen, die an der Spitze dieser Staaten stehen. FUCHS-Chefredakteur Ralf Vielhaber bereitet Sorge, dass dies im Osten zunehmend selbstherrliche "Diktatoren", im Westen "Spinner" sind (in der Türkei ein "selbstherrlicher Spinner").

Der Westen befindet sich in einer prekären Lage. In der NATO sind mit Biden in den USA und Erdogan in der Türkei zwei Präsidenten an der Macht, deren Geisteszustände als getrübt bezeichnet werden müssen.

Europa hat derzeit keine politische Führung und ist zerstritten wie nie. Seit dem Austritt der Atommacht Großbritannien ist es zudem auch militärisch deutlich geschwächt. Hinzu kommt die wirtschaftliche Instabilität: durch die Covid-Politik einerseits, durch die Energiepolitik andererseits, durch die Umbrüche in vielen Wirtschaftszweigen infolge der Digitalisierung und – ebenso gravierend – durch die demographische Perspektive.

Bidens geistiger Zustand wird nun öffentlich diskutiert

Am 17.6. lasen Sie in FUCHSBRIEFE erstmals ausführlich über die „Ausfälle“ des US-Präsidenten Joe Biden und die Sorgen, die sich in der US-Diplomatie damit verbinden. Inzwischen ist das Thema in der medialen Öffentlichkeit angekommen. Am Freitag berichtete das Wall Street Journal (WSJ), die Mitarbeiter des Weißen Hauses schützten Präsident Biden so weit wie möglich vor der Presse. Ein großes Problem sei, dass Biden oft nicht zu wissen scheine, wovon er spricht. „Es macht uns keine Freude, darauf hinzuweisen, dass die USA einen Präsidenten brauchen, der den Belastungen des Jobs gewachsen ist“, seufzt der Kommentator des WSJ.

  • Für die steigenden Gaspreise machte Biden zunächst das OPEC-Kartell verantwortlich, sagte dann aber, die Antwort laute „letztendlich . . . Investitionen in erneuerbare Energien.“
  • Für die Engpässe in den Lieferketten gibt er Covid und den Arbeitgebern die Schuld, die nicht genug zahlen würden, um Arbeitnehmer anzuziehen. Doch die Arbeitgeber in USA bieten bereits ordentliche Lohnerhöhungen an und können die mehr als 10 Millionen Stellen im ganzen Land dennoch nicht besetzen.
  • Die Nationalgarde wolle er anrufen, um den Mangel an Truckern zu beheben. Aber der Einsatz der Garde wird tatsächlich von den Gouverneuren kontrolliert.

Außenpolitisch unerträglich

Innenpolitisch mag das schwer erträglich sein, außenpolitisch sind solche geistigen Aussetzer unerträglich, weil gefährlich. Zu Taiwan sagte Biden vorige Woche, dass die USA mit ihrem Militär für die Verteidigung für die von China „beanspruchte“, politisch selbständige Insel Formosa eintreten würden. Tatsächlich verfolgen die USA aber gegenüber Taiwan einer Politik der „strategischen Zweideutigkeit“ über die Absichten der USA.

Der Taiwan Relations Act verpflichtet die USA, Taiwan bei der Selbstverteidigung zu helfen. Er beinhaltet jedoch keine NATO-ähnliche Verpflichtung, in den Krieg zu ziehen, um die Inseldemokratie zu verteidigen. Inwieweit der im Alleingang entschiedene, ungeschickte und folgenreiche Rückzug aus Afghanistan ein „geistiger Aussetzer“ des Präsidenten war, wird in Washington ebenfalls diskutiert.

Geistige Frische Erdogans steht ebenfalls in Zweifel

Am geographisch und politisch anderen Ende des westlichen Verteidigungsbündnisses, in der Türkei, ist ebenfalls ein Präsident an der Macht, dessen geistige Frische Zweifel hervorruft.

  • Präsident Erdogan gebietet der Zentralbank im Angesicht kontinuierlich stark steigender Preise, die Zinsen zu senken (FUCHS-Devisen vom 22.10.2021).
  • Er will aus einem Impuls heraus die diplomatischen Vertreter wichtiger Verbündeter ausweisen – und provoziert damit eine diplomatische Krise. Das lässt sich nicht mehr mit Hitzköpfigkeit, Sturköpfigkeit und Impulsivität erklären und abtun.
  • Und er unterstützt den IS im Iran und Syrien und riskiert auch dort Kriegshandlungen.

Ein Bündnis, das reichlich Angriffsfläche bietet

Von außen betrachtet – also aus der Perspektive Moskaus und Pekings – bietet ein solches, sich selbst destabilisierendes Bündnis, gerade jede Menge Angriffsfläche. Für Cyberattacken, aber auch für Provokationen, um den inneren Zusammenhalt auszutesten.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die Großmacht und die neue Weltmacht das nicht auch tun werden. Ich lese in Hintergrundpapieren immer häufiger ein Wort, das ich nicht lesen möchte: Krieg. Gemeint ist kein „Cyber War“ gegen Russland und China, den haben die Staaten ohnehin schon proklamiert.

"Krieg" taucht im Wortgebrauch des Westens wieder (häufiger) auf

Tatsächlich geht es um „heiße“ militärische Auseinandersetzungen mit den beiden Groß- bzw. Weltmächten. Nicht nur als „Stellvertreterkrieg“, sondern in direkter Konfrontation. Russland verletzt „in einer Tour“ die Hoheitsgewässer in der Ostsee, den Luftraum in den Baltischen Staaten, organisiert im Verein mit Weißrussland den Flüchtlingszustrom nach Westen, setzt die Ukraine im Osten weiter militärisch unter Druck, organisiert Desinformationskampagnen in den westlichen Ländern. China tut Ähnliches, ist im Streit mit Australien, setzt beständig in- und ausländische Unternehmen unter Druck und erhebt immer hörbarer Ansprüche: gegenüber Taiwan oder auch gegenüber Japan wegen der Senkaku-Inseln.

Nun sollte man nicht glauben, dass umgekehrt nichts passiert. Auch Russland sah und sieht sich durch die westliche (Rüstungs- und Stationierungs-)Strategie in ehemaligen Ostblockstaaten (Ukraine, Georgien) bedrängt. Natürlich informieren und – aus Sicht Putins destabilisieren – auch westliche Kanäle die Gesellschaft Russlands. Im Osten sitzt nicht der Teufel und die westliche Diplomatie und Politik besteht nicht aus Heiligen. Doch es sind unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Interessen.

Die Schaltzentrale in den falschen Händen

Mir ist das "westliche System" trotz seiner vielen Schwächen immer noch hundertmal lieber als Russlands gelenkte Demokratie oder Chinas alles kontrollierender Staatskapitalismus. Da ist es beunruhigend, dass in der westlichen Schaltzentrale, im Weißen Haus, ein Mann an der Spitze steht, der kaum berechenbarer als sein Vorgänger Donald Trump ist.

Bidens Stellvertreterin Kamala Harris wird bereits als kommende Präsidentin nach den Zwischenwahlen gehandelt. Sie mag reichlich Schwächen haben und politisch diskutabel sein. Aber sie ist wenigstens bei Verstand. Hoffen wir, dass die USA rechtzeitig die Notbremse ziehen. In der Türkei ist diese Hoffnung bezogen auf den Sultan im Präsidentenpalast vergeblich. Wie sagt man doch Neudeutsch: Wir leben in aufregenden Zeiten. Ich hoffe, dass sie nicht noch aufregender werden. Ihr Ralf Vielhaber

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