Mehr Klasse statt Masse
Als Bürger sollten wir unsere Mandatsträger mehr an dem messen, was ihre Aufgabe ist: die Gesetzgebung. Die wird immer schlampiger. Man ist geneigt zu sagen: Je größer das Parlament, desto schlechter die Gesetze. Die Bundesregierung weiß das: „Bessere Rechtsetzung: Gesetzgebung: Wirken Sie mit“, heißt es offiziell auf der Regierungs-Webseite. Der Bundestag verabschiedet – zusammen mit der Länderkammer, dem Bundesrat – seit Langem mehr Masse als Klasse.
Runde 550 Gesetze kommen in jeder Legislaturperiode im Schnitt ins Bundesgesetzblatt. Doch nicht nur Juristen sind sich weitgehend einig: darunter ist zu viel Schrott. „Sprachlich misslungen, unausgereift, in sich widersprüchlich, unsystematisch“, sind häufig zu hörende Urteile über die Ergebnisse der Arbeit unserer Mandatsträger. „Die Rechtsordnung wird durch solche Mängel gestört und diskreditiert“, vermerkte jüngst in einem Referat im Berliner Hayek-Club ein Jurist aus dem BMJ. „Entstehen Meinungsverschiedenheiten, so wird deren Klärung unvorhersehbar.“
Oft wird es teurer als nötig
Und: Es wird oft teuer. „Die Anwendung verursacht unerwartete Kosten für die öffentliche Hand“. Also den Steuerzahler. Jüngstes Beispiel: Mit ca. 546 Mrd. Euro in den Jahren 2023 und 2024 waren die Kosten der Gaspreis- und Wärmebremse im Referentenentwurf ausgewiesen. Ein niedliches kleines Komma fehlte hinter der 4. Eigentlich kein Thema – wenn das Gesetz wenigstens formal seinen Gang genommen hätte: Regierungsentwurf, Länderkammer, Bundestag erste Lesung, wieder Einbeziehung des Bundesrats usf. Doch aufgrund der Eile wurde der Entwurf direkt in den Bundestag eingebracht. Länder und Verbände hatten am selben Tag bis 18 Uhr Zeit, den kleinen Fauxpas zu sehen. Die Abgeordneten selbst verlassen sich gewöhnlich auf ihre Berichterstatter. Kurz: Es lesen nur wenige. Inzwischen ist der Mangel behoben.
Schlamperei und Hektik, weil die politische Linie fehlt
Die Gründe für die handwerklich oft schlampige Arbeit: Politische Formelkompromisse, die bewusst verschiedene Auslegungen zulassen. Unfähigkeit in den Ministerien, insbesondere zuletzt im überforderten Wirtschaftsministerium von Habeck. Und: (selbst verursachte) Hektik. Obendrein immer wieder der Versuch, Verantwortung weiterzureichen. So schob Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am 12.2.2001 in einer Sondersitzung zur Coronalage das Chaos in der Gesetzgebung auf das Virus: „Der Kampf gegen die Pandemie darf nicht zum Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den staatlichen Ebenen werden“. Nein, den Schwarzen Peter erhielt ein Neutrum: „Unser Feind ist das vermaledeite Virus“.
Inzwischen hat es politisch Methode, Verantwortlichkeiten für missratene Gesetze zwischen Brüssel, Berlin und den Landeshauptstädten hin und her zu schieben. Damit wird man vielleicht persönliche Verantwortung los, weil am Ende niemand mehr durchblickt, der Bürger am wenigsten.
Die Demokratie gerät in Verruf
Doch im Ergebnis leidet: die Demokratie. Eine Studie der FPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kam jüngst zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen des Staates in unsere Staatsform zunehmend schwindet. 53,4% sind demnach wenig bis überhaupt nicht zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. Der ehemalige CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach schrieb dazu jüngst ein Buch mit dem Titel: „"Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können". Er klagte dazu im FUCHSBRIEFE-Interview über „Fachkräfte Mangel in der Bundesregierung“.
Beteiligen statt Verantwortung verschleiern
Die Bürgerbeteiligung ist eine weitere Verschleierungsmaßnahme. Die Bürger können sich zwar informieren und beim jeweils zuständigen Ministerium oder der EU-Kommission Stellung nehmen. Doch an der Entscheidung selbst sind sie nicht beteiligt. Man darf wohl annehmen: Beteiligen werden sich nicht diejenigen, die schon kaum noch zur Wahl gehen, also die „unteren Schichten“ der Gesellschaft. Die Folge: Je geringer die soziale Stellung, desto weiter entfernen sich die Wähler von den – vornehmlich von einer anderen gesellschaftlichen Schicht getragenen – Demokratie, so die FES-Studie.
Mehr Demokratie wagen
Die direkte Demokratie sollte eine Chance erhalten. Allerdings unter einer Bedingung: Es muss wieder „preußische Disziplin“ in die Vorbereitung insbesondere solcher (verbindlicher) Abstimmungen einfließen. Die übrigens bis zur absehbaren Regierungsbeteiligung auch von den Grünen gefordert wurden: Am 22.11.2020 folgte der Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen dem Vorschlag ihres Bundesvorstands und strich den Ausbau der direkten Demokratie aus dem Grundsatzprogramm.