"Ohne den globalen Markt wird es nicht gehen"
FB: Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft bzw. die Elektro-Industrie von Halbleiterimporten aus China?
Baumann: Dafür muss ich etwas ausholen, denn die Halbleiterindustrie ist global sehr stark vernetzt. Bevor ein Halbleiter in seinem Bestimmungs-Produkt verbaut werden kann, fliegt er etwa 2,5 Mal um die Erde. Dabei gibt es Produktionsstätten für die verschiedenen Schritte, die überall auf der Welt verteilt liegen. China ist hier nicht selten einer dieser Zwischenstopps. Dabei werden in China 33% aller Halbleiter verbaut – der Produktionsanteil selbst liegt global bei etwa 20%. Dabei gilt es aber auch zu beachten, dass weniger als 10% der in China gebauten Halbleiter auch zu chinesischen Unternehmen gehören. Das Know-How der Chip-Produktion sitzt momentan nach wie vor in Amerika, Europa, Japan, Taiwan und Südkorea – nur zu kleinen Teilen in China.
Kurzum: Es gibt keine chinesischen Halbleiter, auch keine europäischen oder amerikanischen, es gibt nur von global agierenden Unternehmen hergestellte Halbleiter. Das heißt, globale Lieferketten sind immens wichtig.
FB: Welche Bedeutung haben dann die Sanktionen?
Baumann: Wird aufgrund der Sanktionen die Lieferkette unterbrochen, müssen weitere Fabriken irgendwo auf dieser Welt aufgebaut werden. Dieser Aufbau würde etwa zwischen 2 und 5 Jahren dauern. Für bestimmte Abnehmer wäre dies sicherlich ein Problem, aber nicht für die gesamte Weltwirtschaft.
FB: Ganz praktisch gefragt: Nehmen wir an ich bin ein deutsches Unternehmen – wo kaufe ich meine Chips? Rufe ich dafür jetzt irgendwo in Amerika an und bekomme sie von dort geliefert oder kommen die aus China direkt zu mir? Was steht auf meinem Versandzettel drauf?
Baumann: Das ist eine sehr gute Frage – meistens steht auf dem Versandzettel als Absender die Adresse, bei der die jeweilige Firma ihr Sales Office hat. Dieses muss nicht unbedingt in der Nähe der Fabriken sein. In aller Deutlichkeit: Chips sind keine Massenware. Die Entwicklungsingenieure treten jahrelang vorher mit Halbleiterfirmen in Kontakt und entwerfen einen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Chip. Das heißt, dass diese Geschäftsbeziehung schon Jahre vor der allerersten Lieferung beginnt.
Um auf den Versandzettel zurückzukommen: Es geht darum, wie diese Firma weltweit aufgestellt ist, ob sie in Taiwan produzieren lässt oder ob sie eine eigene Fabrik in China hat oder ob die Fabrik in Österreich steht. Das ist ein komplexer Einkaufsprozess, anders als beim Kauf von Schrauben oder Holzplatten.
FB: Ein Ansatz für Resilienz ist, eine heimische Produktion aufzubauen; sowohl die EU, als auch die USA haben dafür Pläne. Wie sinnvoll ist so ein Aufbau vor dem Hintergrund internationaler Lieferketten?
Baumann: Damit Europa auch in Zukunft ein innovativer und erfolgreicher Mikroelektronikstandort bleibt, ist es sehr sinnvoll, die Produktionskapazitäten in Europa zu steigern. Dafür müssen allerdings die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, insbesondere bei global wettbewerbsfähigen Energiepreisen und rechtlichen Vorgaben.
Ohne den globalen Markt wird es nicht gehen. Wir werden weiterhin miteinander vernetzt sein, aber wir dürfen keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen lassen. Wir müssen international kooperieren. Das Ziel ist technologische Souveränität, nicht Autarkie.
FB: Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang den EU Chips Act ein?
Baumann: Beim EU Chips Act geht es darum, die Gefahr von einseitigen Abhängigkeiten zu verhindern. Angenommen, in Europa würden keine weiteren Produktionskapazitäten aufgebaut, dann würde der Anteil der Produktion in Asien und den USA weiter wachsen. Dann würde sich Europa irgendwann in einer einseitigen Abhängigkeit befinden. Deswegen brauchen wir einen EU-Chips-Act mit Subventionen in Milliardenhöhe und verbesserten Rahmenbedingungen in Europa.
FB: Wie entwickelt sich der Halbleitermarkt in den nächsten Jahren?
Baumann: Wir sehen weiterhin ein starkes Wachstum auf der Nachfrageseite. Wir wissen, dass die Digitalisierung ohne Mikroelektronik definitiv nicht funktioniert. Auch die grüne Transformation wird sich nicht ohne Mikroelektronik weiterentwickeln, denn ohne Leistungshalbleiter läuft auch bei Windkraftanlagen, Solaranlagen, Wasserkraftwerken und der Elektromobilität nichts. Hier sind die europäischen Hersteller ganz vorn dabei. Und nicht zuletzt will ja auch niemand auf sein Handy verzichten.
Der ZVEI vertritt die gemeinsamen Interessen der Elektro- und Digitalindustrie und der zugehörigen Dienstleistungsunternehmen in Deutschland und auf internationaler Ebene. Der Verband zählt mehr als 1.100 Mitgliedsunternehmen, in der ZVEI-Gruppe arbeiten 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Branche beschäftigt rund 882.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Inland (Stand: Juni 2022). 2021 lag ihr Umsatz bei rund 200 Milliarden Euro.
Das Gespräch auf Seiten von FUCHSBRIEFE führte Philipp Heinrich.