Wir sind (noch immer nicht) ein Volk
Am Donnerstag feiern wir wieder den „Tag der Deutschen Einheit“ – doch als so „unvereinbar“ wie derzeit habe ich Deutschland seither noch nie wahrgenommen. Obwohl die deutsche Vereinigung nun schon 34 Jahre her ist, ist bisher offensichtlich kaum „zusammengewachsen, was zusammengehört“.
Am plakativsten zeigt sich das beim Blick auf die jüngsten Landtagswahlen. Der Osten wählt „blau“ und straft – in einigen Bundesländern ganz besonders heftig – die etablierten Parteien ab. Parteien, die in der Bundesregierung die Geschicke dieses Landes lenken, kommen nicht mehr ins Parlament (Grüne) oder werden gar unter „Sonstige“ geführt (FDP).
Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein
Die Wahlerfolge der AfD sind aber nur ein Symptom für viele Entwicklungen eines Landes, das noch immer mit zwei Geschwindigkeiten unterwegs ist. Deshalb liegt Gesine Schwan, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, auch völlig daneben, wenn sie sagt, dass „Bürgerinnen und Bürger, die mit den Bedingungen und Erfordernissen der pluralistischen Demokratie wenig vertraut sind“ die AfD wählen.
Menschen in den neuen Bundesländern wegen der AfD-Wahlerfolge derart als nicht im gemeinsamen Deutschland „angekommen und unterbelichtet“ zu bezeichnen, ist wie Unkrautvernichter für das erstrebenswerte Zusammenwachsen. Solche Aussagen sind es, die manchen Menschen das Gefühl vermitteln, als Menschen zweiter Klasse gesehen zu werden. Das ist Dünger für mehr innerdeutsche Entzweiung.
Was trennt uns und was sollte uns einen?
Statt Differenzen zu reduzieren und auf Gemeinsamkeiten und gemeinsame Ziele zu fokussieren, werden ganze Menschengruppen und Regionen disqualifiziert und die Unterschiede betont. Aber genau die Unterschiede sind auch 34 Jahre nach der deutschen Vereinigung noch gewaltig.
Die zwei Teile Deutschlands sind wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich noch sehr genau sichtbar. Die Trennung verläuft nach wie vor an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Dabei werden viele Unterschiede und Entwicklungen auf beiden Seiten als ungerecht empfunden. Darum sollten wir, gern in scharfem Diskurs, nach Lösungen für unsere Probleme suchen – aber respektvoll und auf Augenhöhe.
Ich erinnere mich noch sehr genau: Aus dem Ruf auf den Montags-Demos „Wir sind das Volk“ wurde schnell „Wir sind ein Volk“. Wir sollten uns darauf besinnen und uns künftig mehr auf das konzentrieren, was uns eint oder einen sollte, meint Ihr Stefan Ziermann
P.S. Wenn Sie wissen wollen, wie groß die Differenzen noch sind, dann schauen Sie sich die animierte Grafik an: https://tinyurl.com/4wjkw4kf