Brexit: Britanniens (geringe) Optionen
Die Briten haben sich für den Ausstieg aus der EU entschieden. Sie begreifen erst jetzt, welchen Weg sie mit ihrem Votum gewählt haben.
Der Nebel, der über dem Brexit-Referendum lag, teilt sich – und Großbritannien blickt in den Abgrund. Die Parlamentarier sind ratlos. Der Leader der Brexit-Kampagne auf Seiten der Tories, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, geht auf seinem Landsitz in Deckung. Schottland und Nordirland machen sich bereit, das Vereinigte Königreich zu verlassen. Damit verliert England voraussichtlich die Ölindustrie und seine Flottenstützpunkte. Die ohnehin kleine industrielle Basis Großbritanniens erodiert weiter. Das Pfund wird in seiner Bedeutung zusätzlich gestutzt, denn Schottland und Nordirland werden dann auch dem Euroraum beitreten. Die Länder des Commonwealth werden via England keinen privilegierten Zugang mehr zum Binnenmarkt haben. Sie werden sich direkt an die EU wenden (müssen). Die Londoner City blutet aus. Die (US-)Banken werden zu einem Gutteil das Weite suchen – und einen neuen Sitz in Frankfurt finden. Und für die USA sinkt die Bedeutung der Briten ohne politischen Zugang zu Festlandeuropa immens. Kurz: England wird zum politischen und wirtschaftlichen Nonvaleur. Aus dem einstigen Weltreich wird eine recht kleine Nummer. Irland wird zum großen Profiteur des Brexit. Viele Unternehmen aus dem angelsächsischen und asiatischen Raum werden sich dorthin orientieren. Gerade die Amerikaner fühlen sich in einem englischsprachigen Land schneller zuhause. Irland bietet attraktive steuerliche Rahmenbedingungen und eine gute Infrastruktur. Es hat den Euro als Währung. Das wird den Briten alles erst langsam bewusst – daher schließen wir eine politische Volte auch nicht aus. Das Parlament muss dem Votum des Volkes nicht folgen. Trick- und wortreich ließe sich der Austritt aus der EU noch umgehen. Aber mit einem riesigen Schaden für das Demokratieverständnis im Mutterland der Demokratie. Genau dieses Grundverständnis lässt uns erwarten, dass die Briten den Brexit eben doch durchziehen. Mehrheit ist Mehrheit. Die Optionen für die Briten sind gering. Deutschland wird eine Demütigung durch die EU verhindern. Dennoch: Die Briten können das stringente norwegische Assoziationsmodell mit Freizügigkeit für die Europäer (insbesondere Polen und andere Osteuropäer), Geldzahlungen, null Einfluss in Brüssel, Gesetze aber übernehmen, nicht umsetzen. Sonst hätten sie den Brexit nicht zu veranstalten brauchen. Bleibt die Ochsentour der Schweiz mit ihren sieben Sektor-Abkommen. Auch die Schweiz musste in Sachen Freizügigkeit kräftig Leine lassen. Außerdem zahlt das Land und hat dennoch in Brüssel nichts zu sagen. Die Schweiz löhnt jährlich, genau wie Norwegen, 2 Mrd. Euro in die Gemeinschaftskasse. Sie hat, wie Norwegen, keinerlei Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Aber die Kommission bedrängt sie beständig, einen „automatischen“ Nachvollzug zu organisieren – teilweise hat die Schweiz das (still und verschämt) schon getan. Sie verliert sonst Boden auf dem gemeinsamen Markt. Um voll am Binnenmarkt teilzuhaben, wählte Norwegen den Status einer Art „Faxdemokratie“: Es bekommt die nachzuvollziehende Gesetzgebung aus Brüssel „per Fax“ mitgeteilt – und setzt sie gehorsam um: 75% der EU-Richtlinien und 6.000 EU-Gesetze bis 2012.
Fazit: Für Großbritannien gibt es nichts zu beschönigen. Es wird ein Anhängsel der EU ohne Briten-Rabatt.