Das Zerwürfnis zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Parteichefin Angela Merkel bekommt immer stärker persönliche Züge. Dabei nehmen beide immer weniger Rücksicht auf das Wohl der Union als Ganzes. Anders lässt sich das Verhalten der Chefs beider Schwesterparteien auf dem CSU-Parteitag in München am Wochenende nicht erklären.
Es fällt auf, dass Merkel in ihrer Rede im Ton freundlich, in der Sache aber hinter dem ihr längst bekannten Sachstand zurückblieb. Mit dem am Wochenende ebenfalls bekannt gewordenen Plan einer Kontingentierung des Flüchtlingszustroms nach Europa wird faktisch auch die CSU-Forderung nach einer nationalen Obergrenze für Deutschland erfüllt. Das zu sagen aber vermied die Kanzlerin. Stattdessen ließ sie mit versteinerter Miene die Predigt von Seehofer über sich ergehen.
In der Hauptstadt werden zwei Erklärungen für das Verhalten der Kanzlerin gehandelt. Die erste lautet: Merkel überließ Seehofer kurzfristig die Bühne, um ihn alsbald als politischen Kleinkaliber aussehen zu lassen, wenn in Europa die Kontingentlösung verabredet ist und Wirkung zeigt. Dann könnte sie sagen, sie habe die schlimmen Bilder einer konsequenten Sicherung der deutschen Außengrenze vermieden, Europa zusammengeführt, das Grundrecht auf Asyl ohne Einschränkung gerettet und den Flüchtlingsstrom dennoch gestoppt. Dies wolle sie auf dem CDU-Parteitag vom 13. bis 15. Dezember tun – wenn Seehofer in Karlsruhe zu Gast ist. Das wird eine doppelte Demütigung für den Bayern.
Die Erzählung geht noch weiter. Merkel wolle den CSU-Chef bis zu seiner vorgesehenen Abdankung in zwei Jahren auf diese Weise beschämen und ruhig stellen. Seine Eskapaden von Maut bis Flüchtlingspolitik sollten so ein für allemal in die Schranken gewiesen werden.
Erklärung zwei heißt: Seehofer und Merkel haben vorher über den neuen Sachstand telefoniert. Seehofer wollte nicht, dass Merkel diesen äußert. Denn das hätte bedeutet, dass der Antrag nach nationalen Obergrenzen, über den die CSU am Samstag entscheiden wollte, im Grunde überflüssig geworden wäre. Stimmt die Version, hätte sich Seehofer selbst ins Aus taktiert.
Welche Erklärung auch zutrifft – beide Kontrahenten pflegen den Streit, statt ihn ernsthaft zu lindern. Dass das bei den Wählern keine Pluspunkte bringt, nehmen beide in Kauf. Streit kostet Stimmen: Diese Urweisheit in der Politik lässt sich nun schon seit Wochen an den Umfragen ablesen.
Fazit: Merkel und Seehofer wollen ihre Auseinandersetzung austragen, bis es einen Sieger und einen Besiegten gibt. Für die Chefs von Schwesterparteien, die auf Bundesebene aufeinander angewiesen sind, ist das ein machtpolitisch höchst riskanter Kurs, der an die Auseinandersetzung Kohl-Strauß erinnert.