Deutsche Sicherheitspolitik braucht einen Plan
Die 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr sind ein starkes Symbol, aber noch längst kein tragfähiges Konzept für eine neue Sicherheitspolitik in Deutschland. Die Truppe braucht viel mehr als Geld. Noch wichtiger sind eine bessere Organisationsstrukturen und auch ein Mentalitätswechsel in der Führung. So lange eine Verteidigungsministerin in den Gängen ihres Ministeriums grußlos an ranghohen Offizieren vorbeigeht, stehen auch die emotionalen Chancen schlecht, dass ein Neuanfang in der Bundeswehr gelingen kann.
Strategische Ausrichtung schlagartig veraltet
Ein historischer Exkurs: Seit der Wiedervereinigung hat sich die Bundeswehr drastisch verändert. Durch die Zusammenlegung der Bundeswehr mit der ostdeutschen NVA gewann sie enorm an Größe und Schlagkraft, musste dann aber aufgrund von Abrüstungsverträgen drastisch verkleinert werden. Daran hätten sich in den 1990er Jahren auch alle Partner gehalten, inkl. Russland. Da niemand ernsthaft davon ausging, dass ein Krieg mitten in Europa wieder Realität werden würde, wurden Heeresdivisionen aufgelöst. Vor Auslandseinsätzen wurden Truppen zusammengelegt, ausgerüstet und dann entsandt. Das war der Fall im Kosovo, Afghanistan und auch Mali.
Die russische Invasion macht dieses Vorgehen hinfällig. Ein neuer Eiserner Vorhang erstreckt sich vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer. Wie die künftigen Grenzen der Ukraine aussehen werden, weiß noch niemand. Russland ist ein Aggressor. Einsatzfähige Großverbände – wie sie die neue Zeit erfordern würde – kann die Bundeswehr gerade nicht aufweisen. Die Verwaltungsstrukturen sind komplex und schwerfällig und nicht auf agile militärische Entscheidungen ausgerichtet. Zudem ist die in den Depots liegende Technik nicht einsatzbereit und in Teilen veraltet.
Europas Heere sind finanziell besser ausgestattet aber unvorbereitet
Die militärische Schlagkraft Russlands liegt etwa bei der Stärke Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens zusammen. Allerdings stoßen die unvorbereiteten Heere der europäischen NATO-Staaten auf ein für die neue Zeit bereits eingestelltes russisches Militär. Daran ändert auch die deutliche finanzielle Asymmetrie wenig. Zwar investieren die europäischen Staaten weit mehr in Rüstung als Russland – zusammengenommen etwa 180 Mrd. Den russischen Verteidigungsetat (ca. 60 Mrd. US-Dollar p.a.) könne man allerdings aufgrund des anderen Kaufkraftniveaus Russlands etwa mit dem Faktor 3 multiplizieren. Das erfahren wir von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Da eine bessere finanzielle Ausstattung erst langfristig wirkt, ist vorerst vor allem Tempo bei den Strukturen gefragt. Die Gelder können ohnehin nicht auf einen Schlag ausgegeben werden. Die Industrie kann das schlichtweg nicht stemmen. Ob die für die Neuausrichtung der NATO notwendigen strukturellen Schritte wirklich eingeleitet werden, hängt maßgeblich von Berlin ab. Zwar scheint die Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt zu haben. Aber sie muss die konkrete Ausgestaltung erst noch festlegen. Das Bundesverteidigungsministerium kann uns auf Anfrage keine konkreten Angaben machen, welche Dinge konkret auf der „Einkaufsliste“ stehen. Auch im Hinblick auf das Management spricht die Pressestelle Ministerium uns gegenüber von mehr Effizienz. Ein Plan ist das noch nicht.
Parteijugend rebelliert
Ungemach droht auch von der Politik selbst. Denn innerhalb der Ampelkoalition drohen die 100 Mrd. Euro zu einem Zankapfel zu werden. Robert Habeck und Annalena Baerbock hätten angeblich von der Höhe des Sondervermögens nichts gewusst und müssen nun die grundsätzlich pazifistischen Grünen von der Sinnhaftigkeit überzeugen. Einen Farbbeutel wie in den 1990er Jahren Joschka Fischer müssen sie zwar nicht befürchten – dafür haben sich die Grünen zu sehr geändert. Allerdings erklären bereits Abgeordnete ihre Ablehnung gegen die finanzielle Neuausstattung.
Insbesondere die Grüne Jugend und die SPD-Linke, hier vor allem die Jusos, opponieren gegen das Paket. Auf die Blockademehrheit der Jugendverbände hatten wir Sie bereits hingewiesen (vgl. FB vom 07.10.2022). Die Parteivorsitzenden, die bei SPD und Grünen von dem Sondervermögen selbst nicht vollends überzeugt sein dürften, müssen sich bemühen ihre Fraktionen zu Ja-Wort zu bewegen.