Die Chancen des Olaf Scholz
Die SPD macht aus der Not eine Tugend und nominiert Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Überraschend war bestenfalls der Zeitpunkt. Denn es gibt niemand anderen, der es machen wollte und zugleich könnte. Nachwuchstalent Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Meck-Pomm, ist aus gesundheitlichen Gründen der Herausforderung derzeit nicht gewachsen. Familienministerin Franziska Giffey sieht sich noch nicht reif für die Aufgabe. Und ansonsten ist da nichts und niemand in der SPD, den sich die farblose Parteiführung mit der stumpfen Doppelspitze Saskia Esken und Norbert Walter Borjans trauen würde, ins Rennen zu schicken.
Scholz braucht ein Wunder, um Kanzler zu werden. Nach Schröder ist der rote Faden für die SPD gerissen. Das Ausgangsniveau ist so tief wie nie für einen Kanzlerkandidaten der SPD. Und der Trend seiner Partei spricht klar gegen ihn. In Umfragen steht die SPD bei 15%. Ein Jahr vor der Wahl 2017 mit Kandidat Martin Schulz waren es 21% – so viel wie etwa am Wahltag im September 2017. Peer Steinbrück ging 2013 noch mit 25,7% aus dem Rennen, der heutige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier 2009 mit 23,0%.
Mann mit Kanzlereigenschaften?
Zwar hat Scholz ein paar Eigenschaften wie die Nordlichter im Kanzleramt – die Krisenkanzler Helmut Schmidt (42,6%) und Gerhard Schröder (40,9%) – vor ihm: Ein wenig kühl, politisch eher rechts in der SPD (jedenfalls in reiferen Jahren) und eher Einzelgänger als Teamspieler und mit einiger Durchsetzungskraft versehen.
Doch am ähnlichsten ist Olaf Scholz Peer Steinbrück, der 2013 für die SPD antrat. Finanzminister, eher Außenseiter als Mainstream-SPDler, eine starke Linke gegen sich und mit anderen politischen Vorstellungen unterwegs als ein Großteil der Parteikader mit ihren sozialistischen Ideen. Scholz ist wie so gut alle seine Vorgänger (außer Martin Schulz 2017) zum Wahltermin nicht der Parteivorsitzende der SPD.
Wer verschafft Scholz "Beinfreiheit"?
Scholz wird sich wie Peer Steinbrück „Beinfreiheit“ einfordern müssen. Und wenn er sie bekommt, dann von Kevin Kühnerts Gnaden. Der scheidende Juso-Vorsitzende setzt seine moderne Politikerkarriere planmäßig fort: Student ohne Abschluss, Juso-Vorsitzender, Bundestagsabgeordneter und dann möglichst Minister in einer linken Regierung. Ob die dann Scholz führt oder der grüne Robert Habeck, ist für Kühnert nebensächlich.
Wir erinnern uns: Auch Schröder stand quer zur Partei. Er hatte den Saarländischen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine, der gegen ihn im Rennen um die Kanzlerschaft unterlag, danach zum Feind. Aber er ritt 2018 auf der Woge des (bürgerlichen) dritten Weges, die vor ihm erfolgreich der britische Labour-Kanzler Tony Blair beschritten hatte. Die SPD ging zunächst mit. Schröder versprach frischen Wind, nach der ewigen Kanzlerschaft Helmut Kohls, derer auch seine Anhänger längst müde geworden waren. Scholz verspricht nichts davon: Er ist der letzte Mohikaner aus dem alten Team Schröder, neue Ideen sind ihm fremd, und er kann nicht als Räumkommando für Angela Merkel auftreten, denn die geht von alleine.
Vorteil Scholz
Scholz‘ Vorteil: Er und Kühnert wollen etwas voneinander. Scholz braucht einen Linkenbändiger in der Partei, Kühnert den Erfolg der Gesamtpartei, um einen schnellen Karriereschritt zu tun. Zumindest das spielt Scholz in die Karten. Aber so schwer wie es der polternde Bayer Markus Söder im Norden hat, so schwer tut sich der dröge Scholz im Süden der Republik. Beide sind – die Hauptstadt Berlin einmal ausgenommen – nur selten im aus ihrer jeweiligen Sicht "deutschen Ausland" zu sehen gewesen, also nördlich bzw. südlich des Mains.
Fazit: Wer die Not zur Tugend macht, wie die SPD in der Kanzlerfrage, hat die Not damit noch nicht überwunden. Für einen Kanzler Scholz spricht nur eins: Unverhofft kommt oft.