Die neue Genügsamkeit in der Staatswirtschaft
Das Wort des Jahres 2022 steht für uns schon fest: Es heißt Verzicht, und gemeint ist Verzicht auf materiellen Wohlstand. Klima-Papst Ottmar Edenhofer predigt ihn, Volks-Philosoph Richard Precht und zahlreiche Politiker wissen, dass „der Kampf gegen den Kilmawandel nicht zum Nulltarif zu haben“ ist – was nichts anderes meint als materiellen Wohlstandsverlust, den die Politik allerdings so klar nicht benennen will. Was also dem Sozialismus den Kopf gekostet hat – der materielle (und zuletzt auch ideelle) Rückstand zum Westen – ist diesmal die Prämisse „frischer“ sozialistischer Anwandlungen. Was die Großeltern-Generation unter dem Eindruck echter Armut praktizierte – Wiederverwendung, Knappheit und Aufbereitung von materiellen Gütern – feiert Wiederauferstehung in einem modernen Gewand.
Ideologien-Mix
Dabei ist die Klima-Ideologie Anstoß, aber nicht alleiniger Faktor. Es ist Ideologien-Mix. Wichtiger Bestandteil ist die Problematik der alternden Gesellschaften. Das wachsende Ungleichgewicht zwischen den produktiven und unproduktiven Teilen der Gesellschaft wird Wohlstand kosten. Das wird Politik allerdings niemals so ansprechen.
In diesen Faktoren-Mix mischen sich sozialistische und kommunitaristische Ideen. Die moderne Staatswirtschaft hat eine breite Basis in den jüngeren Generationen bis 40 Jahre. Sie entstammen vielfach den Aufstiegs-Elternhäusern der 1970er und 1980er Jahre, die sich aus dem Arbeitermilieu in die akademischen Schichten hochgearbeitet haben.
Individualistisch und der Ideologie des Teilens verpflichtet
Die moderne Staatswirtschaft ist einerseits stark individualistisch geprägt, hat andererseits aber die Ideologie des Teilens verinnerlicht. Diese löst sich von der bisherigen Vorstellung des Privateigentumes mehr und mehr ab. Es ist ein modernes, kombiniertes Verständnis von Allmende und dem Raiffeisengedanken. Öffentliche und private Güter werden gemeinsam genutzt, was wiederum durch die Plattformwirtschaft (Uber, AirBnB) stark begünstigt wird.
In diesem Gesellschaftmodell muss der Staat als zentraler Halter vieler Güter des Grundbedarfs eine zentrale Rolle spielen. Er soll für eine mehr oder minder gerechte Verteilung auf hohem Niveau sorgen, wo dies nicht privatwirtschaftliche Plattformen tun (können).
Die organisierten Liberalen glauben zunehmend an den Staat
Auch für die FDP ist der Staat als ein sehr gewichtiger Akteur im Wirtschaftsleben längst eine akzeptierte Größe. Der neue Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing sieht sich als Repräsentanten des Staates gerade in diesen beiden Fragen am Zuge. Das Einknicken von Christian Lindner vor der Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht ist ein Zeugnis dieses Wandels in den Köpfen. Auch die industriepolitischen Anwandlungen eines Ex-Wirtschaftsministers Peter Altmaier, die sogar vom BDI mitgetragen werden, lassen sich hier einreihen.
Gedämpft werden die Wohlstandsverluste durch einen ebenfalls stärker gewordenen Trend zur Arbeit pro bono. Die Zivilgesellschaft mit ihren Ansätzen, Leistung zu erbringen, ohne das Ziel Profit zu erwirtschaften, ist eine Blüte des Zeitgeistes. Und sie kommt durchaus zur rechten Zeit. Sie bindet das Potenzial einer oftmals fit gebliebenen, zu früh verrenteten Generation. Die will sich betätigen, aber ohne die Routine und den täglichen Druck der Privatwirtschaft. Die Zivilgesellschaft wird weiter wachsen.
Folgen für die Wirtschaft
Für die Wirtschaft hat das Folgen. Zum einen verschwimmt das bisherige Verständnis von Eigentum, das wiederum Grundlage ist der modernen Geldwirtschaft. Ohne Privateigentum kein Kredit, ohne Kredit kein Wachstum der Privatwirtschaft. Und ohne Wachstum wackelt der Sozialstaat. Der letzte Kitt einer ohnehin auseinanderlaufenden Gesellschaft. Der Ausweg ist dann die Sozialstaatsfinanzierung durch die Notenbank.
Auch in diese Bresche sind Zentralbanken und Staaten längst gesprungen. Sie, die sich nicht nur in den primär dem Staat vorbehaltenen Sektoren der Daseinsvorsorge, sondern mehr und mehr auch in den bisher der Privatwirtschaft vorbehaltenen Wirtschaftszweigen tummeln werden. Dabei gehen sie Hand in Hand als Finanzier und Investor.
Immobilienwirtschaft im Fokus
Die Immobilienwirtschaft ist längst im Fokus. Regularien wie Mietendeckel finden breite gesellschaftliche Akzeptanz, sind aber besonders in den urbanen akademischen und tonangebend Schichten verbreitet.
Auf die neue Zeit einstellen müssen sich die Eigentümer von Unternehmen(santeilen). Die Vermögenssteuer ist nicht aus der Welt. Sie hat in der nachwachsenden Politikergeneration etliche Fürsprecher, voran den neuen Generalsekretär der wichtigsten Regierungspartei SPD, Kevin Kühnert.
Wegzug ins Ausland wird weiter erschwert
Vorausschauend hat die Politik bereits die Hürden vor einem Wegzug ins Ausland deutlich erhöht. Sie weiß, was solche Auffassungen in der Generation 40+ mit anderen Erfahrungen und einem anderen oftmals nur äußerlich angepassten Weltbild, auslösen, insbesondere in der sensiblen Unternehmerschaft. 2022 greift das Gesetz gegen Steuervermeidung (ATAD-Umsetzungsgesetz). Es resultiert aus einer EU-Verordnung, die sich mit der grenzüberschreitenden Steuerverkürzung beim Wegzug aus einem EU-Land beschäftigt.
Deutschland macht hier (mal wieder) einen Alleingang zuungunsten seiner Unternehmer, und weit weg vom Gedanken der Reise- und unternehmerischen Freiheit in der EU. Wer innerhalb der letzten 12 Jahre in sieben Jahren unbeschränkt steuerpflichtig war und mit Sack und Pack das Land etwa in Richtung Spanien, Italien, Frankreich verlässt, ist wegzugsteuerpflichtig. Er wird also künftig steuerlich genauso schlecht behandelt, als würde er in ein Drittland außerhalb der EU ziehen. Im Ergebnis wird damit die bisher geltende EU-Stundung der Wegzugsteuer hinfällig. Wenn jemand mit seinen Anteilen wegzieht, wird die Wegzugsteuer festgesetzt und muss künftig in Raten über 7 Jahre hinweg bezahlt werden. Die Bewertung erfolgt idR. nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren.
Stagnierendes Wachstum
Doch nicht nur der Eigentumsbegriff erodiert. Die Wirtschaft muss auch davon ausgehen, dass das Wachstum auf mehrere Jahrzehnte gering ausfällt, wenn nicht gar stagniert. Einmal wird ein wachsender Teil der älter werdenden Wohlstandsgeneration den Ruhestand im Ausland verbringen – und zwar, umso rauer das gesellschaftliche Klima und die Kosten des täglichen Lebens hier werden. Es drängt sich geradezu auf, den Winter in wärmeren Gefilden zu verbringen und die irren Kosten für Heizung und Strom im eigenen Heim sparen. Damit ist schon ein Gutteil der Reisekosten kompensiert.
Die Sharing-Economy bietet zwar viele neue Geschäftsmodelle. Auch die Kreislauf Wirtschaft hat noch hohe Potenziale. Aber sie werden im Volumen nach heutigem Ermessen nicht die wegbrechenden Teile der Eigentumswirtschaft kompensieren. Auch das bedeutet materielle Einschränkung, geringeren Güterumsatz.
Wachsender Dienstleistungssektor
Kräftig wachsen wird in diesem Zusammenhang hingegen der Dienstleistungssektor. Auch hier findet ein Wandel statt. Dienen und sich bedienen lassen – lange Zeit in Deutschland beinahe verpönt – werden gesellschaftsfähig. Das eröffnet Spielraum für neue Angebote.
Die Pizza-Bringdienste als besonders sichtbarere Teil der neuen Dienstleistungswirtschaft wachsen kräftig. Und je älter die Gesellschaft wird, je mehr sie sich an verordnete Lockdowns als Pandemie-Bekämpfungsmethode gewöhnen lässt – und die nächste Pandemie steht ja vermeintlich schon vor der Tür – desto umsatzstärker werden die Lieferhelden und der Online-Handel mit allen angeschlossenen Subsektoren wie Paketdienste etc.
Fazit: Die Disruption ist in der Gesellschaft und in unserem Wirtschaftssystem angekommen und unterwirft es einem schleichenden, aber bereits gut sichtbaren Wandel. Die Eigentumswirtschaft als Wesenskern des Kapitalismus ist auf dem Rückmarsch.