„Eine Politik, die die Menschen groß macht.“
Herr Lindner, im Frühjahr 2017 stehen in Ihrer politischen Heimat Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen, im Herbst dann die Bundestagswahl an. Für welches Parlament werden Sie kandidieren?
Ich will als Spitzenkandidat die Freien Demokraten im Herbst 2017 zurück in den Bundestag führen. Da kommt natürlich der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wenige Monate zuvor eine besondere Signalwirkung zu. Wie ich mich im Einzelnen bei dieser Wahl einbringe, entscheiden wir Ende 2016. Die Landtagswahl NRW gilt ja immer als „kleine Bundestagswahl“. Das wird 2017 umso mehr der Fall sein. Ein klares Votum in NRW wird eine Wirkung über das Land hinaus haben.
Wer gehört zu Ihrer Führungsmannschaft? Gibt es Ziehkinder, die sie entlasten und den Platz an Ihrer Seite einnehmen können?
Wir haben starke Führungspersönlichkeiten in unserer Partei, die alle eigenes Format und politisches Gewicht mitbringen. Wolfgang Kubicki ist mein erster Stellvertreter und eine unserer stärksten Persönlichkeiten. Sein Witz und seine Lebensfreude verkörpern unseren neuen Stil. Dazu kommen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Katja Suding, unsere Generalsekretärin Nicola Beer sowie die weiteren Kollegen aus dem Präsidium. Auch Alexander Graf Lambsdorff, und in NRW Christoph Rasche, Johannes Vogel und Joachim Stamp, sind wichtige Köpfe.
Als eine konkrete Maßnahme, auch die finanzielle Lage der Partei wieder auf Vordermann zu bringen, könnte man die Mitgliedsbeiträge erhöhen – reicht das, um Wahlkämpfe zu finanzieren?
Die Finanzen der FDP sind solide, deshalb haben wir auch nicht die Beiträge erhöht. Sondern wir haben in den letzten Monaten in der FDP zu einem neuen Teamgeist gefunden. Die Wahlen in Hamburg und Bremen waren Wahlkämpfe der gesamten FDP. Dieser Geist steckt auch hinter unserem neuen Zukunftsfonds. Die Untergliederungen der Partei zahlen dort ein, damit wir gemeinsam die wichtigen Wahlkämpfe bis 2017 bestreiten. Wir hatten im Jahr 2013 einen Verlust von vier Millionen Euro, schon im Jahr 2014 haben wir eine Million Überschuss erwirtschaftet. Wir werden 2017 einen Etat zur Bundestagswahl haben, der mindestens auf dem Niveau von 2013 sein wird. Wir haben also das gemacht, was wir dem Staat immer empfehlen: Mit weniger Geld besser wirtschaften.
Die Umfragewerte für die FDP sind derzeit recht gut – sie könnte in den Bundestag einziehen, zumindest für Oppositionsarbeit im Parlament reichte es?
Die aktuell guten Umfragen ermutigen uns, den Weg der Erneuerung der FDP weiterzugehen. Das Comeback der Freien Demokraten ist noch längst nicht abgeschlossen, sondern wir stehen im Vorgebirge. Der Weg nach oben ist noch weit – und hält sicher auch noch die ein oder andere Hürde für uns bereit.
Für eine Regierungsbeteiligung wäre eine Koalition erforderlich. Wohin zieht es sie denn?
Wir verwenden unsere ganze Kraft darauf, mit neuer Substanz, Ernsthaftigkeit und Klarheit wieder das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen. Mein Ziel ist es, die Partei der Marktwirtschaft, der Bürgerrechte und der offenen Gesellschaft wieder in den Deutschen Bundestag zu führen. Nicht weil das ein Selbstzweck wäre, sondern weil diese politische Farbe dort fehlt. Das Gleiche gilt für etwaige Koalitionen. Für uns kommt nur als Partner in Frage, mit wem wir an die großen Aufgaben unserer Zeit herangehen können.
Mit wem könnten die Liberalen also gehen?
Wenn es genügend Projekte, die uns wichtig sind, gibt, um gemeinsam sachlich Politik zu machen, dann ist es fast egal, mit wem man geht. Im Prinzip sehe ich bei CDU und SPD keine großen Unterschiede mehr im Inhalt. Der nächste Kanzler wird in jedem Fall ein Sozialdemokrat sein – wahrscheinlich wieder ein schwarzer. Wir stehen für eine Rückkehr auf den Pfad marktwirtschaftlicher Politik, die unser Land erfolgreich gemacht hat, und einen schlanken Staat, der für seine Bürger da ist und sie nicht im Alltag bevormundet. Die gesamte Balance zwischen Bürger und Staat ist doch in Schieflage geraten. Wir wollen wieder eine Politik, die die Menschen nicht klein, sondern groß macht.
Thematisch müssten Sie sich aber dennoch, um an der Regierung beteiligt zu sein, noch ein wenig populärer thematisch ausrichten, oder ?
Wir haben klare liberale Grundsätze und bestimmte Themenvorstellungen. Von denen rücken wir auch nicht ab. Wir müssen nicht regieren. Es geht nicht darum, mögliche politische Partner zu schonen, sondern der Wähler ist entscheidend: Wir machen mit unserer Programmatik ein Angebot – es ist am Wähler, zu sehen, dass wir eine klare Vision von der Zukunft Deutschlands haben und wie wir sie umsetzen wollen. Genau darum sollen sie uns wählen. Ich möchte an der Willensbildung des deutschen Volkes mitwirken und ihr nicht hinterherlaufen.
Was wären also die Themen, mit denen Sie in den Wahlkampf ziehen werden?
Ein zentrales Thema der Liberalen ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Die Innovationskraft Deutschlands muss erhalten und gefördert werden. Wir wollen die Flexibilität der deutschen Wirtschaft erhöhen, Bürokratie abbauen und neue Spielräume für Investitionen schaffen, um Deutschland fit für die Herausforderungen von Industrie 4.0 zu machen. Insbesondere im Hinblick auf die demographische Entwicklung der Gesellschaft wollen wir zukunftsweisende Wege für Deutschland aufzeigen. Das Themenspektrum reicht da von der Mindestlohnverordnung, die kritisch hinterfragt werden muss, bis hin zu Fragen der Flexibilität am Arbeitsmarkt. Es gilt, Hürden für die deutsche Wirtschaft abzubauen.
Also wieder klassische, Wirtschaft-geprägte Themen?
Natürlich kommt den wirtschaftlichen Themen eine besondere Bedeutung zu – gerade weil die Große Koalition längst den Pfad marktwirtschaftlicher Politik verlassen hat. Aber wenn die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands grundsätzlich gestärkt werden soll, ist ein Ausgangspunkt Wissen. Daher ist einer unserer ganz großen Themenschwerpunkte die Bildungspolitik. Hier läuft zu viel schief. Gerade die mobilen Familien in unserem Land sind die Leidtragenden. In jedem Bundesland sind andere Fächerkombinationen vorgeschrieben, die Schulformen unterscheiden sich, die Abschlüsse sind von den Anforderungen her ganz unterschiedlich. Da müssen wir ran. Ich schlage vor, das Kooperationsverbot zwischen den Bundesländern und dem Bund endlich abzuschaffen und einen Bildungsrat analog zum bereits existierenden Wissenschaftsrat im Hochschulbereich zu schaffen. Das bringt letztlich mehr Einfluss für den Bund.
Aber Bildung ist doch eindeutige Länderkompetenz?
Ja, aber genau diese bürokratischen Reibungsverluste zwischen den Ländern sind ein Ärgernis im Alltag. Den Investitionsbedarf werden Länder und Kommunen allein nicht schultern können. Bildung muss zu einer gesamtstaatlichen Aufgabe werden!
Gesamtstaatlich – Was heißt das genau?
Unser Ziel ist das beste Bildungssystem für jeden. Deshalb ist es Zeit, eine neue Bildungsverfassung zu fordern. Das bislang gültige Kooperationsverbot ist ein Kollateralschaden der Föderalismusreform von 2006. Es untersagt dem Bund, Geld in Schulen und Hochschulen zu investieren. Wenn Deutschland es mit weltbester Bildung ernst meint, dann müssen wir dieses Ziel zu einem Projekt des Gesamtstaats machen! Wir brauchen mehr Autonomie für diejenigen, die vor Ort arbeiten und entscheiden können, aber mehr Gemeinsamkeit für uns alle.
Das hört sich nach einer grundsätzlichen strategischen Neuausrichtung im Bildungsbereich an. Ein Jahrhundertprojekt?
Es stehen doch im Bildungsbereich nicht Bremen und Bayern im Wettbewerb zueinander, sondern Deutschland und die USA und die aufstrebenden Staaten in Asien. Insofern bedarf es tatsächlich der Neuausrichtung im Bildungsbereich, etwa ein Zentralabitur. Ein Wettbewerb zwischen den Bundesländern ist hier völlig fehl am Platze. Der Bildungsbereich darf keinen Moden unterworfen sein, da muss der Staat klare Linien vorgeben, die die Länder dann umsetzen können.
Früher hatten die Liberalen mehr auf Steuerpolitik gesetzt, ist das nun anders?
Wir haben unsere Ziele in der Regierungszeit 2009 bis 2013 nicht umsetzen können. Auch dadurch ist der Handlungsdruck noch viel größer geworden. Bei der Großen Koalition steht eine Belastungsgrenze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr auf der Agenda. Stattdessen soll der Soli verlängert, die kalte Progression nicht wirklich angegangen werden. Erst im Mai haben die Steuerschätzer errechnet, dass bis 2019 auf die hohen Steuereinnahmen nochmals mindestens 38 Milliarden Euro kommen werden – zusätzlich! Die Bürger leiden unter Niedrigzinsen, der Staat profitiert davon. Diese Umverteilung muss gestoppt werden. Wenn Herr Schäuble Geld sucht, sollte er nicht Bürger und Mittelstand belasten, sondern dafür sorgen, dass Konzerne wie Google auch in Deutschland Steuern zahlen.
Die SPD feiert die Rente mit 63 als eine Errungenschaft dieser Regierung. Was ist damit?
Die Rente mit 63 war ein schwerer Fehler. Denn das Rentenpaket ist teuer, ungerecht und gegen Altersarmut wirkungslos. Ein Teil einer Generation profitiert von der Rente mit 63, die alle Jüngeren und alle Älteren bezahlen. Allein bis zum Jahr 2030 drohen Belastungen von rund 230 Milliarden Euro. Das bestehende Rentensystem entmündigt die Bürger. Wir wollen mehr Flexibilität, ein freiheitliches Rentensystem. Uns ist auch die sogenannte Flexi-Rente zu wenig. Ab dem Anspruch auf Grundsicherung im Alter sollte jeder über seinen Lebenslauf und die Lebensarbeitszeit individuell bestimmten dürfen. Er muss auch frei sein, weiter zu arbeiten. Es muss also ein neues Konzept her, das die individuellen Möglichkeiten stärkt. Individualität ist der Kern liberalen Denkens, wir wollen den einzelnen Menschen größer machen, zu mehr Eigenverantwortlichkeit ermutigen.
Die allein von der CSU vorangetriebene Pkw-Maut liegt auf Eis. Was halten Sie von den Mautplänen?
Die CSU-Maut löst kein einziges Problem, schafft aber viele neue. Ich halte die Pläne von Herrn Dobrindt für wirkungslos, ineffizient und anti-europäisch. Unabhängige Berechnungen belegen, dass die Einnahmen durch die Maut deutlich geringer ausfallen werden, als vom Verkehrsminister angegeben. Das Aufkommen von etwa 300 Millionen Euro vor Abzug der Bürokratiekosten reicht nicht einmal aus, um die Schlaglöcher auf deutschen Autobahnen zu flicken. Die extrem hohen Verwaltungskosten von etwa 70 Prozent würden die Maut zur ineffizientesten Steuer oder Abgabe machen. Außerdem tritt es den europäischen Gedanken eines zusammenwachsenden Kontinents mit Füßen, wenn für Reisende aus Nachbarländern an der deutschen Grenze der Maut-Schlagbaum den Weg versperrt. Ich bin sehr froh, dass jetzt die Notbremse gezogen wurde. Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshof die Maut letztlich ganz versenken wird.
Inmitten Europas gibt es die eine oder andere Baustelle – die geopolitisch ein Einfallstor etwa für ausländische Einflussnahme darstellen könnte. Reflektieren Sie, dass Entscheidungen auch von liberaler Seite zu Veränderungen geführt haben?
Selbstverständlich wägen wir europäische Fragen auch immer vor dem Hintergrund geostrategischer Interessen Deutschlands und Europas. Grundlegende Fehler sind aber bereits viel früher gemacht worden. 2002 haben Frankreich und Deutschland den Stabilitätspakt gebrochen. Auch die Aufnahme Griechenlands stand nicht im Einklang mit den Aufnahmekriterien der Euro-Zone. Aber unsere jetzige Einstellung ist im Grunde genommen unsere europapolitische Linie seit 2010 und 2012: Schon damals hat die FDP darauf gedrängt, dass jeder Staat zunächst für sich selbst verantwortlich ist. Um aber das Chaos eines griechischen Bankrotts abzuwenden, haben die Euro-Staaten zeitweilige Hilfen gewährt – und im Gegenzug marktwirtschaftliche Reformen eingefordert, die die Länder wieder wettbewerbsfähig machen. Diese Strategie hat sich bewährt. Sie hat etwa Portugal oder Irland geholfen, die wieder Anschluss gefunden haben.
Was bedeutet das in der Griechenlandfrage? Sind Sie da inzwischen an Frank Schäffler mit seiner Kritik herangerückt?
Nein, denn unsere Entscheidungen 2010 und 2012 waren richtig. Sie haben den Euro-Staaten in Schwierigkeiten die Zeit gegeben, Reformen nachzuholen. Auch Griechenland war auf einem guten Weg – bis der heutige Ministerpräsident Tsipras unhaltbare Versprechungen machte und sein Land bewusst vom Pfad der Reformen wegführt hat. Der Euro-Verbleib liegt in den Händen der Griechen selbst. Folgt die Regierung weiter dem links-populistischen Kurs oder kehrt sie auf den Weg der Reformen zurück? Ohne einen echten Politikwechsel zurück zur Marktwirtschaft verabschiedet sich Griechenland selbst aus dem Euro. Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt – aber nicht um jeden Preis.
Hier war der Ausgangspunkt die nicht hörbare Kritik an der Partei „Morgenröte“ in Griechenland im Gegensatz zum Umgang Europas mit der FPÖ in Österreich?
Ich habe die Morgenröte mehrfach laut angegriffen. Das sind Faschisten, die Europas Wertegemeinschaft nicht teilen. Mit denen kann man keine gemeinsame Sache machen. Aber Sie haben Recht, da vermisse ich auch mehr entschiedene Stimmen. Die FPÖ ist geschichtlich keine aus liberalem Gedankengut hervorgegangene Partei. FDP und FPÖ haben keine Gemeinsamkeiten. Schon gar nicht in der der Europapolitik.
Muss sich Europa ändern?
Ich bin ich sehr dafür, dass bestimmte Materien wieder in nationalstaatliche Hand gelangen. Wozu brauchen wir etwa einen EU-Kommissar für Gesundheit, wenn es keine europäische Gesundheitspolitik gibt? Schon vor geraumer Zeit haben wir Liberalen eine Liste mit pragmatischen Lösungsvorschlägen vorgelegt, wie Europa schlanker und effizienter wird.
Da sind Sie nahe bei David Cameron und vielen Briten?
Ein Austritt Großbritanniens wäre im Vergleich zu einem Grexit ein deutlich größeres Problem. Die Briten müssen auf jeden Fall in der EU gehalten werden. Wir brauchen sie als Antipoden zu den vielen eher staatshörigen Ländern in der EU. Ihnen ist das Private heilig. Da haben sie eine konsequente Haltung. Schon im Rahmen des Beitritts zur Euro-Zone haben die Briten auf ihren Eigenheiten bestanden und diese auch umgesetzt. Das fand ich immer richtig.