Es mangelt der SPD an Authentizität
Der SPD mangelt es an Authentizität, an "Echtheit". Und damit an einem zentralen Momentum, um im Zeitalter der Sozialen Medien zu bestehen. Das aktuelle Wahlprogramm – vorgestellt vom Kanzlerkandidaten Olaf Scholz – rückt diese Tatsache noch einmal in ein besonders helles Licht. Kandidat und Programm passen nicht zusammen. Das Kernproblem der Sozialdemokraten und eine zentrale Ursache für ihr inzwischen beinahe 20-jähriges Siechtum bleibt damit erhalten.
Das Programm zeigt: Die SPD hat kein eigenes großes Thema. Alles wirkt geklaut. Es ist eher eine Stichwortsammlung aktueller und ewiger Trendbegriffe: Respekt, Bürgernähe, Digitalisierung, Grundrecht auf schnelles Internet. Und vor allem: möglichst kein Risiko für niemanden. Kein Wunder, dass vor allem die Linke viele Gemeinsamkeiten entdeckt.
Bürger in Watte
Der Bürger wird in Watte gepackt. Der Staat übernimmt die Verantwortung für alle und alles. Ein Kuschel-Kapitalismus als moderne Form des Sozialismus. „Grün“ finanziert natürlich vor allem von den „oberen 5%“ des Einkommensspektrums. Was dann noch fehlt für den reichlich gedeckten Gabentisch der SPD – u.a. bei Rente, Pflege, Grundeinkommen – kommt von der Notenbank.
Dafür wirkt manches Reizthema deplatziert. Etwa Tempo 130. Das Argument Umweltschutz hat ausgedient, wenn man gleichzeitig forciert auf E-Mobilität setzen will. Und auch das zweite, Unfallschutz, zieht nicht: Denn solange sich die Anzahl der Unfalltoten in Deutschland zurückverfolgen lässt, war sie noch nie so niedrig wie im vergangenen Jahr.
Das Programm für die Funktionäre, der Kandidat für die Wähler
Deshalb ist die SPD um so mehr auf den richtigen Kandidaten angewiesen. Doch wie soll zusammenwachsen, was nicht zusammengehört? Hier ein Programm, das auch die Linke gut findet – soweit es der Wahlkampfmodus noch zulässt – vertreten von einem Kandidaten, der die Finanzen der Republik besser kennen sollte als jeder andere. Ein Papier, das die Herzen von Funktionären wärmt.
Dort der kühle Kantige aus dem hohen Norden der Republik. Wie vor Scholz schon Steinbrück, der Beinahe-Kandidat Gabriel, Steinbrück, Schröder, Schmidt. Sie alle standen mit ihren Ansichten in der Mitte der Gesellschaft, aber am Rand ihrer Partei. Sie waren und sind die nüchternen Vorzeigemänner einer Partei, die selber zunehmend von linken Schwärmern beherrscht wird.
Keine mehrheitsfähigen Positionen – der Kandidat soll's richten
Offensichtlich weiß die SPD, dass ihre Positionen nicht mehrheitsfähig sind. Deshalb holt sie immer wieder „geländegängige“ Kandidaten an ihre Spitze. Das kann schon mal funktionieren, wie im Falle Schröders und Schmidts, solange dem Kandidaten die Lufthoheit zugestanden wird, die er sich ausbedingt und das Grummeln der Funktionärsbasis im stillen Kämmerlein bleibt.
Das geht schief, wenn der Kandidat zum Pappkameraden wird. Wie im Falle Steinbrücks, der sich Beinfreiheit gewünscht hatte, aber mit den Fußfesseln nicht zurecht kam, die ihm die Partei angelegt hatte. Wie das mit einem Kevin Kühnert als neuem Strippenzieher in der Partei gelingen soll, der wie Parteichefin Saskia Esken gern zu allem seinen Senf dazu gibt und auch vor Watschen an „große alte Männer und Frauen“ – aktuell Wolfgang Thierse und Gesine Schwan (wegen deren Meinung zur Spaltung der Gesellschaft durch Identitätspolitik) – nicht zurück schreckt, bleibt erst recht das Geheimnis der Partei.
Fazit: Scholz ist mehr Steinbrück als Schmidt. Auch deshalb wird die SPD keine Stimmenmehrheit gewinnen.