Hintertüren und Notausgänge für die Ampel
Die Koalitionsverhandlungen werden zahlreiche Ergebnisse „mit Hintertür“ bringen. Nur dann kommt die „Koalition der Willigen“ aus Rot, Gelb und Grün zusammen. Nur dann lassen sich die unterschiedlichen und auseinanderstrebenden Auffassungen in einem Koalitionsvertrag zusammenfassen, den ja auch noch Parteitage absegnen müssen. Und nur dann wird die Koalition auch vier Jahre lang halten (können). Nicht alle mündlichen „Goodwill-Abreden“ werden im Vertrag festgehalten werden (können).
Bruchlinien bisher verdeckt
Bisher ist es gelungen, die Bruchlinien insbesondere der SPD und der Grünen mit den Liberalen gut zu verdecken. Das hat Pluspunkte gebracht. Die Wirtschaftsverbände haben mit verbalem „Schulterklopfen“ auf die vermeintlichen Tabus „Steuererhöhungen“ und „zügelloses Schuldenmachen“ reagiert.
Aber erste Äußerungen zeigen, wo vor allem der linke Parteiflügel der SPD Sand ins Getriebe streuen wird. „Wir haben gesagt, dass keine neuen Substanzsteuern eingeführt werden“, sagte SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans im Fernsehsender RTL. Das schließe aber nicht aus, „dass man sich mit denen, die man hat, mal beschäftigt“. Dabei nannte er explizit die Erbschaftsteuer. Darauf hat uns Leser Christof Küchle hingewiesen. Zwar haben die Grünen (!) in Person von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sofort widersprochen: "Es war sehr deutlich, dass wir uns darauf verständigt haben, dass Substanzsteuern außen vor sind". Er, Kellner, „stelle nicht ein Ergebnis 48 Stunden später wieder in Abrede.“ Doch gilt das noch 48 Tage später?
Ausweichen auf internationale Verabredungen
Zweite Hintertür: Verweis auf internationale Abkommen. Hier hat gerade Irland unter Druck (ebenso wie Luxemburg) dem von der OECD ausgehandelten globalen Unternehmenssteuerplan angeschlossen. Man will die Verlagerung der Gewinne multinationaler Unternehmen in steuerfreundliche Länder einschränken. Steuern sollen dort anfallen, wo die Leistung erbracht wird. Der Mindeststeuersatz für multinationale Unternehmen von 15% ist ebenfalls etwas, woran sich grüne und rote Politiker abarbeiten können, ohne Schaden anzurichten.
Notausgang für den finanziellen Worst Case: die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie wurde zuletzt 2006 im ersten Regierungsjahr der ersten GroKo um 3-Prozentpunkte heraufgesetzt. Das würde keine Partei ungeschoren lassen. Und es wäre ein zusätzlicher Inflationstreiber. Von daher bleibt diese Hintertür noch verschlossen.
Ambitionen zurücknehmen
Bei der Umweltpolitik werden die Grünen von ihren überbordenden Ambitionen runterkommen müssen. Die von Fridays for Future vehement geforderte verbindliche und schnelle Abschaltung der Kohlekraftwerke – „idealerweise bis 2030“ – wird der energiepolitischen Realität in Deutschland und Europa zum Opfer fallen. Das frühzeitige Aus für die Kernkraft war eine der dümmsten Entscheidungen (und davon gab es nicht wenige) der Merkel-Regierung 2011 – an der auch die Liberalen als damaliger Koalitionspartner mit Christian Linder in der Rolle des Generalsekretärs beteiligt waren.
Nächstes Jahr geht der letzte Meiler vom Netz. Im ersten Regierungsjahr einer Laufzeitverlängerung zuzustimmen, ist für die Grünen innerparteilich nicht machbar, selbst wenn die Bundesspitze bald die Notwendigkeit erkennen sollte. Gas aus Russland ist die beinahe alternativlose Alternative. Aber das ist außenpolitisch heikel. Im Verhältnis zu Moskau ist eine neue Eiszeit angebrochen. Die allermeisten Länder in der EU lehnen Nordstream 2 vehement ab.
Mehr Planungskapazitäten benötigt
Bleiben die Erneuerbaren. Doch der Wind wehte zuletzt nicht so wie gewünscht (und geplant). Der stockende Ausbau der Erneuerbaren benötigt weitreichende Eingriffe ins Grundgesetz sowie das Zivil- und Planungsrecht. Schnelle Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren haben die Sondierer der Ampel zwar grundsätzlich beschlossen. Man will die Verfahrensdauer „mindestens halbieren“. Da wird sich die FDP in der realpolitischen Umsetzung bei Eingriffen ins Privateigentum und Beschneidung des Rechtswegs aber schwertun.
Mehr noch braucht man Planungskapazitäten. Die lassen sich aber nicht aus dem Hut zaubern. Der Zukauf von Atomstrom aus dem Ausland dürfte für Deutschland bald eine Notwendigkeit werden.
Programme statt Kohle-Aus
Hintertür für die Grünen: ambitionierte Programme im Umweltschutz und bei der Elektrifizierung (des Verkehrs, der Gebäudemodernisierung) auflegen und auf die Zukunft verweisen. Da wird immer alles besser. Für Programme aber wird man – glaubwürdig – Geld locker machen müssen. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Erste Hintertür: die Aussetzung der Schuldenbremse nutzen. Sie gilt auch noch fürs kommende Haushaltsjahr. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat bereits angekündigt, dass man sich hier einen kräftigen Schluck aus der Pulle genehmigen solle. Dagegen hätte auch Olaf Scholz nichts.
Schuldenbremse länger aussetzen
Hintertür für die Zukunft: die Verlängerung der Aussetzung. Den roten und grünen Koalitionären wird zupasskommen, dass die Konjunktur aufgrund der Probleme im Welthandel derzeit lahmt. Man darf die Konjunktur nicht „kaputtsparen“, wird es heißen. Erst recht, wenn die Notenbanken die Zügel anziehen müssen und die Finanzierungskonditionen für die Unternehmen schlechter werden.
Aber dem zuzustimmen – erst recht als amtierender Finanzminister – wäre der frühe Kotau von Christian Lindner. Seine Hintertür, besser sein Notausgang: die Gründung von Investitionsgesellschaften – für den Ausbau des Ladenetzes, digitalen Leitungsbau, die Bahn etc. Diese könnten eigenständig Kredite aufnehmen für die Bund oder Länder dann zwar bürgen, die aber nicht haushaltsrelevant würden.
Schuldenmachen als Privatisierung verkaufen
Die FDP kann das Projekt als „Privatisierung“ verkaufen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau beispielsweise ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Der Bund haftet für die von der Bank aufgenommenen Darlehen und begebenen Schuldverschreibungen, die als Festgeschäfte ausgestalteten Termingeschäfte, die Rechte aus Optionen und andere Kredite an die Anstalt, sowie für Kredite an Dritte, soweit sie von der Anstalt ausdrücklich gewährleistet werden.
Die nächste finanzpolitische Hintertür heißt Europa. Angela Merkel hat die Corona-krise (wie Vorgänger Helmut Kohl die deutsche Einheit) als „disruptives Ereignis“ genutzt, um dem Drängen Frankreichs und Italiens nachzugeben und eine politische 180-Grad-Wende bei Eurobonds zu vollziehen.
Schulden nach Europa verlagern
Nun steht dieser Weg offen und er wird ausgiebig genutzt werden. Denn – und das wird auch einen Finanzminister Christian Lindner freuen – die Schulden, die Brüssel nun und künftig eigenständig machen darf, werden nicht anteilig den nationalen Budgets zugeordnet. Die Wucht dieser Entscheidung ist nicht zu unterschätzen. Ein Grund, warum Bundesbankpräsident Weidmann vorzeitig den Hut nimmt. Er hat sich stets klar gegen diese Handhabung ausgesprochen, die alle Grenzen der Verschuldung verschwimmen lässt.
Dennoch: Die FDP wird finanzpolitisch einen äußerst schweren Stand haben. Auch auf ihrer Hintertür steht Europa. Ein liberaler Finanzminister wird immensem Ausgabendruck ausgesetzt sein – und er wird nicht immer nein sagen können, schon gar nicht, wenn der Kanzler ja sagt. Und der kommt bekanntlich von der SPD und muss sich in der eigenen Partei und stark links orientierten Fraktion freischwimmen.
Teilen und herrschen
Grüne und FDP kommen personalpolitisch bereits unter Druck. Die SPD stellt den Kanzler, den Bundespräsidenten mit Bärbel Bas jetzt auch noch die Bundestagspräsidentin und gerade ist mit dem bevorstehenden Abgang von Jens Weidmann der Zugriff auf den Spitzenposten bei der Bundesbank möglich geworden. Zwar ist hier auch der der SPD nahestehende Leiter des DIW, Marcel Fratzscher, im Gespräch.
Wahrscheinlich wird aber eine Frau das Rennen machen. Also entweder die bereits im EZB-Direktorium befindliche "Taube" Isabel Schnabel oder die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm. Kanzler-in-spe Olaf Scholz muss das Ventil öffnen und den Ampelpartnern Entfaltungsmöglichkeiten bei der Wahl der Ministerien lassen. Divide et impera ist seine Hintertür. Die beiden politisch ungleichen, aber im Vorfeld der Verhandlungen verbündeten Partner könnten sich um Finanz- und Außenministerium, ebenso ein Digitalministerium streiten. Je mehr Zwist zwischen beiden entsteht, desto mehr ist die SPD lachende Dritte.
Fazit: Die Schönwetter-Phase für die Ampel ist mit Beginn der Koalitionsverhandlungen vorüber. Jetzt heißt es „warm anziehen“ – vor allem auch gegenüber den eigenen Parteimitgliedern und Kernwählern.