Der Deutsche Bundestag würde auch ohne 5%-Hürde nicht im Chaos versinken. Anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur 3%-Hürde bei der Europawahl haben wir auf Basis der letzten Bundestagswahl errechnet, wie das deutsche Parlament ohne Sperrklausel aussehen würde. Überhangmandate haben wir nicht berücksichtigt. Daher hat unser fiktiver Bundestag insgesamt nur 594 statt 631 Mandatsträger. Um ins Parlament mit mindestens einem Abgeordneten einzuziehen, wären im letzten September 73.122 Stimmen pro Partei nötig gewesen. Bei einer „0%-Hürde“ wären im Bundestag jetzt 15 statt fünf Parteien vertreten. Die größten neuen Fraktionen hätten die Alternative für Deutschland sowie die FDP mit jeweils 28 Sitzen. Die Piraten kämen auf 13 Mandate, gefolgt von NPD (8), Freien Wählern (6), Tierschutzpartei und ÖDP (beide 2). Jeweils ein Mandat erhielten Die PARTEI, Republikaner und pro Deutschland. Fast 6,6 Mio. Wähler mehr wären ohne Sperrklausel im Parlament repräsentiert. Durch die 5%-Hürde sind 6,9 Mio. gültig abgegebener Stimmen ersatzlos weggefallen. Ohne Hürde wären es nur noch 263.764. Die Koalitionsoptionen würden deutlich erweitert werden. Die Kanzlermehrheit läge in unserem Modell bei 298 Sitzen. Die Unionsparteien alleine kämen zusammen auf 248 Sitze. Die übrigen 50 Stimmen könnten sie abhängig von den jeweiligen Sachfragen bekommen – erstmals wäre in der Geschichte der Bundesrepublik eine stabile Minderheitenregierung denkbar. Die Große Koalition hätte nach wie vor eine überwältigende Mehrheit von 68% der Sitze (momentan 80%). Allerdings müsste sie sich dann nicht mehr großmütterlich um die Minderheitenrechte der anderen Fraktionen sorgen. Anders als jetzt würden die übrigen Parteien die nötige Stimmenzahl für einen Untersuchungsausschuss zusammenbekommen.
Fazit: Die Angst vor „Weimarer Verhältnissen“ ist heutzutage unbegründet. Die aktuelle deutsche politische Kultur wäre gewiss in der Lage, trotz Splitterparteien für Stabilität zu sorgen – das Mehr an Debatten-Pluralität und die höhere Flexibilität bei Koalitionen dürfte sogar befruchtend wirken.