Oettinger warnt vor dem Abstieg
EU-Kommissar Günther Oettinger sieht Deutschlands wirtschaftliche Leistungsfähigkeit am Zenit angekommen – und die Deutschen im Wolkenkuckucksheim.
Deutschlands Politik ist selbstgefällig und stellt die Weichen für die Zukunft falsch oder gar nicht. Mit dieser eindringlichen Warnung an die Bundesregierung erntete EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger (CDU) beim Jahresempfang des Verbands Öffentlicher Banken, VÖB, großen Beifall. In freier, passagenweise witziger Rede las Oettinger Merkel, Gabriel & Co. kräftig die Leviten. Derzeit befänden wir uns am wirtschaftlichen Leistungsgipfel, bald komme der Abstieg. Die Gesetze zur Rente mit 63 und zur Mütterrente seien angesichts der demografischen Entwicklung hierzulande geradezu Irrsinn. Sie gäben falsche Signale an die eigene Bevölkerung und an die europäischen Nachbarn, die Berlin immer wieder zu Reformen anhält. Zudem vernachlässigten sie völlig, dass Deutschland nach Japan mit einem Altersdurchschnitt von 45 die zweitälteste Bevölkerung weltweit habe (7 Jahre älter als die Amerikaner). Damit fehle es uns im Wettbewerb an Innovationskraft und an Digital Natives, die den Umgang mit Smartphones und Social Media gewohnt sind. Oettinger fordert daher große, auch freiwillige Anstrengungen der Belegschaften in der eigenen und betrieblichen Fortbildung. Die deutsche Industrie würde sich wegen der verfehlten Energiewende still aus Deutschland verabschieden. Dreimal so teures Öl und doppelt so teures Gas wären in der produzierenden Industrie auf Dauer nicht verkraftbar. Kein einziges Land würde den deutschen Weg mitgehen. Während einerseits zu wenig in Infrastruktur investiert werde, würden durch hohe Subventionen in Erneuerbare Energien, meist am falschen Ort, enorme private Investitionssummen fehlallokiert. Die deutschen Vorzeigeindustrien Maschinenbau und Automobil wären durch Digitalisierung, Elektromobilität und neue Werkstoffe wie Carbon bedroht. Auch die deutsche Versicherungsindustrie und Bankenwelt würde von den Internetgiganten aus den USA wie Google, Apple oder Facebook existentiell gefährlich. Diese wüssten viel mehr über ihre Kunden als ein deutscher Versicherer, könnten gezielt verhaltensabhängige Tarife übers Internet ohne teure Filial- und Personalkosten anbieten. Das sei bereits absehbar. Als problematisch sieht der EU-Kommissar auch die Einstellung der Bevölkerung an. Sie habe den sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung zu 80% zugestimmt. Auch wolle sie keine Atomkraft, keine Kohle, kein Fracking – aber eine sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen. Das zeige ihm, dass die Deutschen im Wolkenkuckucksheim lebten, so Oettinger sinngemäß.
Fazit: Der unterschätzte EU-Kommissar und ehemalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger gehört zu den wenigen deutschen Politikern, die Deutschlands Probleme seit langem intellektuell voll erfasst haben – und sie klar benennen.