Strategiewechsel überfällig
Die eigene Klientel ist bedient und befriedet – jetzt tritt die SPD den Marsch in Richtung bürgerliche Mitte an.
Die eigene Klientel ist bedient und befriedet – jetzt tritt die SPD den Marsch in Richtung bürgerliche Mitte an. Parteichef Sigmar Gabriel hat bemerkt, dass seine „Sozen“ in den Umfragen nicht von der Stelle kommen, obwohl sie scheinbar alleine regieren und ein Wahlversprechen nach dem anderen umsetzen. Rund 25%, so viel wie bei der Bundestagswahl, wollen bei der Europawahl im Mai SPD wählen. Mindestlohn, Rente mit 63, Mieterschutz – nichts hat die Partei aus dem Umfragetief gebracht. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht, der auf der Beliebtheitsskala der Politiker weit oben steht. Das Problem der SPD: Jetzt herrscht zwar Ruhe im eigenen Stall, aber jenseits ihres schrumpfenden Wählerstammes begeistert die Partei niemanden. Die Unionswähler sind mit den meisten sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung größtenteils zufrieden; sie schreiben diese aber „ihrer“ Union und der Kanzlerin zugute. Das erklärt die unvermindert große Zustimmung zu CDU/CSU mit stabil über 40%. „Das kostet eben aktuell alles nichts“, kommentiert das Forsa-Institut. Da die Union die „Gerechtigkeitsgeschenke“ mitträgt, sei für die Wähler der Mitte alles in Ordnung, meint Allensbach. Die SPD hat kein Thema, mit dem sie neue Wähler für sich gewinnen kann. Davon ist Forsa-Experte Peter Matschek überzeugt. Die EEG-Umlage interessiere die Bürger nur in einem Punkt: Sie dürfe nicht weiter steigen. Die ausgebliebene Senkung der Rentenbeiträge hat kaum jemand bemerkt – es war ja keine Erhöhung. Und bei der Kompetenzzumessung für die schwergewichtigen Themen Wirtschaft, Finanzen und Arbeitsmarkt liegt die SPD laut Forsa um 20 Punkte hinter der Union. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat das Dilemma erkannt – und er handelt. Damit erklärt sich seine industriefreundliche Haltung bei der Befreiung von der EEG-Umlage. Neuerdings spricht er sogar von Steuerentlastungen (kalte Progression!), statt wie vor der Wahl von Steuerhöhungen. Sein Problem ist: Ihn sortieren die Wähler als sprunghaft und unzuverlässig ein. Weiteres Personal für einen strategischen Ruck in die Mitte steht der SPD nicht zur Verfügung. Andrea Nahles gilt als die „Sozialtante“ – nicht als progressive Arbeitsmarkpolitikerin. Der Finanzexperte Peer Steinbrück ist nicht mehr in der Arena. Aus den Ländern kommen nur unbekannte „Provinzler“. Und selbst die hochgelobte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft liegt bei der Kanzlerfrage mittlerweile meilenweit hinter Angela Merkel. Dennoch ist der Weg in die Mitte für die Sozialdemokraten alternativlos. Ihre Bereitschaft mit der Linken zu koalieren, haben sie inzwischen öffentlich gemacht. Wandern also bei einem Schwenk zur Mitte Stimmen ins linke Lager, gehen sie dennoch auf dem Weg zur Macht nicht verloren. Wichtig, dass die SPD ihre Versprechen erfüllt hat.
Fazit: Die Sozialdemokraten müssen sich in der Regierung neu erfinden und da anknüpfen, wo Gerhard Schröder einst die Wahlen gewann – in der Mitte.