Die Chefs der beiden „Volksparteien“ CDU und SPD nutzen das wahlarme Jahr 2015, um ihre strategischen Vorhaben voranzutreiben. Angekündigt hatten wir dies in unserer FB-Weihnachtsausgabe. Angela Merkel und Sigmar Gabriel gehen dabei persönliche Risiken ein. Unbedrängt von der schwachen Opposition glauben sie es sich leisten zu können, dabei ihre Top-Funktionäre vor den Kopf zu stoßen.
Angela Merkel setzt mit ihrer Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ ein klares Signal in Richtung Mitte. Damit geht sie konsequent den Weg der Union zur Stadtpartei weiter: Die CDU öffnet sich einem politisch eher links stehenden Publikum sowie Aufsteigern aus dem Migrantenmilieu. Außerdem reicht sie den Grünen die Hand zu einer Koalition der Willigen im Bundestagswahljahr 2017. Die ist ohne Islamfreundlichkeit nicht zu haben.
Zugleich vergrößert die Kanzlerin die Distanz zur AfD. Sie lässt im politisch konservativen Spektrum immer größere Freiräume. Dass der Beifall der Fraktion für ihren Satz ausbleibt und ihr treue Vasallen wie CDU-Fraktionschef Volker Kauder in diesem Punkt widersprechen, nimmt sie billigend in Kauf.
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel versucht ebenfalls, neue Wählerpotenziale zu erschließen. Dabei betritt er sogar vermintes Gelände. Gabriel weiß natürlich, dass sowohl die Wähler der AfD als auch die Pegida-Demonstranten keineswegs allein aus abtrünnigen CDU-Wählern bestehen. Die Mehrheit sind Nichtwähler und ehemalige Linke-Wähler. Er tritt als erster Kümmerer der Bundespolitik auf, wenn auch offiziell als Privatperson, der mit den Teilnehmern redet.
Für Gabriel ist die Situation schwieriger als für Merkel. Bei ähnlichem Einsatz ist der Erfolg deutlich ungewisser als für die Kanzlerin. Sie hat bereits mit Schwarz-Grün in Hessen den ersten Schritt für ein solches Bündnis im Bund 2017 getan. Der Vizekanzler jedoch muss es erst einmal schaffen, aus dem Umfragetief herauszukommen. Die Pegida-Aktion ist da ein zweischneidiges Schwert. Einen neuen potenziellen Koalitionspartner wird er im rechten Spektrum ebenfalls nicht finden. Dennoch nimmt er den Clinch mit den Parteifunktionären, voran Generalsekretärin Yasmin Fahimi, in Kauf.
Möglich machen die innerparteilich heftig umstrittenen strategischen Vorstöße der Parteichefs die schwachen Auftritte der Oppositionsparteien. Die Linke hat einen neuen Führungsstreit in der Auseinandersetzung zwischen Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht um eine Doppelspitze in der Fraktion – die Gysi ablehnt. Die Grünen sind nicht wahrnehmbarer als die aus dem Bundestag geflogene FDP.
Fazit: Beide Parteichefs der Großen Koalition riskieren für neue strategische Optionen einiges. Bei Merkel ist das Verhältnis von Einsatz und potenziellem Ertrag jedoch weitaus günstiger. Kritisch wird es für beide Regierungspartner dann, wenn die Wahlumfragen ihre Vorstöße zu Misserfolgen werden lassen. Dann wird die innerparteiliche Opposition ihr stärkster Gegner.