Der türkische Präsident Recep Erdogan nutzt die strategische Position seines Landes geschickt aus und stärkt seine eigene Position. Das zeigt sich anhand der jüngsten Verhaftung eines türkischen Oppositionsführers, zu der Europa de facto schweigt, nur vereinzelt und kleinlaut Kritik äußert.
Türkei nutzt transatlantische Unsicherheiten aus
Erdoğan hat eine historische Chance für sein Land erkannt. Denn die Türkei spielt durch ihre geografische Lage und ihre Bündniszugehörigkeiten eine immer wichtigere Rolle. Erdoğan versteht es geschickt, die Krise zwischen Europa, den USA und die schwelenden Konflikte für sein Land und sich zu nutzen. In dem Maße, wie Europa im transatlantischen Bündnis geschwächt ist, drängt die Türkei nach vorn. Das zeigt sich im Ukraine-Krieg, in Syrien oder bei der EU-Migrationspolitik.
Ankara balanciert zwischen den Machtblöcken und sichert sich Vorteile von allen Seiten. Mit einer Armee von rund 400.000 Soldaten, direktem Zugang zum Schwarzen Meer und einer Schlüsselrolle in der NATO kann sich die Türkei eine eigenständige Außenpolitik leisten. Im Ukraine-Krieg liefert Ankara Drohnen an Kiew, vermittelt aber gleichzeitig zwischen Russland und dem Westen. Die Montreux-Konvention gibt der Türkei die Kontrolle über die Meerengen Bosporus und Dardanellen – ein Trumpf, den Erdoğan geschickt ausspielt, um seinen Einfluss in der Region zu sichern. Gleichzeitig bleibt die Türkei in Syrien militärisch aktiv und verfolgt dort eigene Interessen, oft im Widerspruch zu den USA und Europa.
Erdoğans Kalkül: EU muss Zugeständnisse machen
Während ein EU-Beitritt der Türkei unwahrscheinlich bleibt, kann Erdoğan Zugeständnisse verlangen. Die türkische Wirtschaft ist angeschlagen, die Inflation hoch – Investitionen und Handelserleichterungen mit der EU könnten helfen. Gleichzeitig nutzt Erdoğan seine geopolitische Position, um Gaslieferungen aus Russland zu sichern und die Türkei als Energie-Drehscheibe zu positionieren.
Diese starke Position spielt Erdoğan gegen die EU aus. Europa, das in anderen Fällen schnell mit Sanktionen oder Kritik reagiert, bleibt bei innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei still. Die jüngste Verhaftung eines Oppositionsführers zeigt, dass Erdoğan innenpolitisch weiter auf Repression setzt – ohne ernsthafte Konsequenzen von Seiten der EU oder der NATO befürchten zu müssen.