Wer in der Wissenschaft zählt, kommt in der öffentlichen Debatte nicht vor
Die Wirtschaftsdebatten in Deutschland werden von Vertretern bestimmt, die wissenschaftlich keine bedeutende Rolle spielen. Und umgekehrt: Wer in der Wissenschaft zählt, kommt in den Medien kaum vor. Das ergab unsere Analyse des jüngsten FAZ-Ökomenrankings. Dies vor dem Hintergrund unserer viel beachteten Berichterstattung und Kommentierung zur PR-Offensive der EZB-Direktorin Isabel Schnabel gegen die in Deutschland vorherrschende kritische Haltung zur EZB-Geldpolitik. Für die Ranglistenposition zählt laut FAZ, „ob ein Ökonom in der Wissenschaft Impulse gibt, die andere Forscher aufnehmen, ob er in den Medien Gehör findet, von Politikern als Ratgeber geschätzt wird – und erstmals auch, ob er in sozialen Medien Resonanz findet“.
Mismatch pur
Erst auf Rang 15 unter den medienwirksamen Wirtschaftswissenschaftlern kommt ein Ökonom mit Relevanz im Wissenschaftsbetrieb. Es ist Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, PIK. Der omnipräsente DIW-Chef und vehemente Verteidiger der EZB-Geldpolitik, Marcel Fratzscher, belegt im Wissenschaftsranking Rang 13. Clemens Fuest vom ifo-Institut in München, die Nummer 1 im Medienbetrieb, ist im Wissenschaftsranking auf Platz 48. Sein Vorgänger, der ebenfalls Debatten prägende Hans-Werner Sinn, wird von der FAZ auf Rang 41 im Wissenschaftssektor geführt.
Von den führenden Köpfen im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb wollen die Medien buchstäblich nichts wissen. Ernst Fehr (Uni Zürich), Bruno Frey (Crema), Christian Homburg (Uni Mannheim) und Armin Falk (Uni Bonn) rangieren in den Medien auf den Plätzen 76, 64, 85, 72.
Politik nimmt kaum Notiz von Wissenschaft
Die Politik hat wiederum eine ganz klare Medienpräferenz. Auch die richtet sich nicht an wissenschaftlicher Reputation aus, sondern an den Debattenführern. Ihre Lieblinge sind Hans-Werner Sinn, Clemens Fuest, Peter Bofinger, Marcel Fratscher und Lars Feld – immerhin eine halbwegs ausgewogene Mischung aus keynesianisch orientierten und ordnungspolitisch ausgerichteten Vertretern. Isabel Schnabel von der Uni Bonn, die die Ehre der EZB in Deutschland retten soll, rangiert in der Politik auf Rang 8, in den Medien auf Rang 12 und im Wissenschaftsranking auf Platz 55.
Wer mit Wissenschaftlern darüber redet, bekommt schnell deren Frust zu hören. Das Problem ist dort bekannt. Der Mismatch hat sicherlich teilweise damit zu tun, dass die führenden Ökonomen sich auf Themenfelder konzentrieren, die politisch (derzeit) von minderer Relevanz sind. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Mundgerecht servieren
Der Medienbetrieb ist personell stark ausgedünnt. Nur wer seine Botschaften mundgerecht servieren kann, kommt vor. Inzwischen lassen sich daher immer mehr (junge) Wissenschaftler in medientauglichem Schreiben fortbilden – von Journalisten, die darin eine neue kleine Einkunftsquelle finden. Vielen, vor allem älteren renommierten Forschern, ist ihre Medienpräsenz egal. Zumindest behaupten sie das.
Fazit: Das Dilemma der öffentlichen Debatte, die auch die politischen Haltungen prägt, lässt sich auch dadurch lösen, dass Wissenschaft stärker – wie in den USA – aus ihrem Elfenbeinturm herauskommt und eine „zweite Sprache“ neben ihrem Wissenschaftslatein zu sprechen lernt.