EU: Polen sieht sich als Führungsmacht
Polen will die Nicht-Euro-Länder anführen. Ziel ist eine Änderung des Lissabonvertrages.
Großbritanniens Austritt aus der EU führt zu einem neuen Lagerdenken unter den (verbliebenen) 27. Hatten sich bisher nur die 19 Mitglieder Eurolands als eine eigene Gemeinschaft der Vorreiter innerhalb der EU verstanden, will Polen nun auch die Outs beim Euro zu einer festen Interessengruppe bündeln. Diese neue Gruppe soll anstelle Großbritanniens quasi das neue Gegengewicht zum EU-Führungsduo Deutschland-Frankreich bilden. Als größtes Nicht-Euro-Land nach Einwohnerzahl (38,5 Mio.) will Polen die Anführerschaft übernehmen. Gemeinsam ist der Gruppe aus Sicht Warschaus die Verdrossenheit über den Brexit. Den lastet nicht nur Polen Frankreich, Deutschland und Brüssel an. Als persönliche Zielscheiben dienen der Präsident des Europäischen Rates und ehemalige polnische Ministerpräsidenten Donald Tusk, Angela Merkel und François Hollande. Polens Ziel ist es, durch gemeinsamen Druck zu erreichen, dass der Lissabonvertrag neu verhandelt wird. Bisher ist das ein Tabu in der EU. Frankreich und Deutschland fürchten, dass sich bei den dann anstehenden Referenden für einen neuen Vertrag die gesamte Missstimmung in der EU erst richtig entlädt. Deshalb dürfte Polens Plan viel Widerstand erfahren. Warschau möchte, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der EU grundsätzlich fällt. Die Sperrminorität soll verkleinert werden. Derzeit liegt sie bei 55% der EU-Bevölkerung. Polen will die Grenze auf 15% bis 20% senken. Damit hätten die vier Visegrad-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn) einen Hebel, um die EU zu blockieren. Wie viele weitere EU-Länder Polen um sich scharen kann, ist noch nicht abzusehen. Schweden und Dänemark haben nur Minderheitsregierungen. In beiden Ländern gibt es eine starke Stimmung für Austrittsreferenden. Schwedens Stefan Lövgren stand bisher an der Seite Großbritanniens, aber gleichzeitig treu zur EU. Schweden ist wirtschaftlich zudem potenter als Polen und eines der Geberländer in der EU, Polen hält die Hand auf. Die Skandinavier könnten also die Führungsrolle mindestens ebenso gut beanspruchen. Nicht für seinen Führungsanspruch, wohl aber für eine neue EU-Verfassung findet Polen auch Freunde innerhalb der Eurogruppe. Kleine Länder – angefangen von den Balten über Griechenland bis Österreich und Belgien – fühlen sich von den Großen bevormundet.
Fazit: Der Brexit führt zu einer wachsenden Ablehnung der deutsch-französischen Führungsrolle in der EU. Polen macht sich diese Lust am Widerstand zu Nutze, um eigene Ambitionen zu befördern.