Frankreich wird seinen Haushalt weder 2014, noch voraussichtlich 2015 in den Griff bekommen. Die EU-Kommission rechnet damit, dass Paris im Jahr 2014 ein Haushaltsdefizit von 3,9% ausweisen wird (vereinbarter Grenzwert maximal 3,0%). Und so wie es aussieht, wird auch 2015 nichts aus einem Haushalt wenigstens im gelben Bereich: 3,4% sind von der EU-Kommission prognostiziert. An eine Punktlandung beim Defizit glaubt außer Frankreichs neuem Ministerpräsidenten Manuel Valls kaum jemand.
Die französische politische Klasse lebt in völliger Realitätsverweigerung. Das stellt Marcus C. Kerber, Professor für Finanzwirtschaft an der TU Berlin und viele Jahre als Gastprofessor in Frankreich tätig, fest. Der von den öffentlichen französischen Medien inzwischen geschnittene Kritiker geht noch weiter: Die Pariser Politik wolle auf Dauer „Freerider“ sein. Das heißt, man fühle sich an die europäischen Regeln nicht gebunden. Ein schwerwiegendes Indiz: Das 50 Mrd. Euro umfassende Sparpaket – 19 Mrd. will allein der Zentralstaat sparen – ist bislang mit keinerlei Positionen hinterlegt.
Die Debatte in Frankreich geht in eine völlig andere Richtung als hier, weg vom Sparen. Die augenblicklichen Probleme bekomme der Staat am besten durch eine stärker auf Wachstum und Inflation fokussierte Politik in den Griff. 5 bis 15% jährliche Geldentwertung – das ist akzeptierte Bandbreite. Doch das ist eine Enteignung von Sparern. 5% Inflation p. a. bedeuten, dass ein Betrag von 1.000 Euro nach Ablauf von zehn Jahren gerade noch 614 Euro wert ist. Bei 15% sind es noch 247 Euro. Zusätzlich möchte Ministerpräsident Valls die Notenbank wie zu alten Zeiten wieder direkt in den Dienst der Wirtschaftspolitik stellen. Sie soll für die Regierungen Geld drucken und den Wechselkurs des Euro drücken, um Exporte zu erleichtern.
Strafzahlungen für einen erneuten Bruch der Haushaltsregeln zu akzeptieren, sind für Paris ein Tabu. Frankreich werde wohl nach der Europawahl darauf drängen, in der neuen Kommission den Wirtschafts- und Währungskommissar – derzeit ist das noch der Finne Olli Rehn – zu stellen, glaubt Kerber. Der Neue dürfte dann alle Möglichkeiten der Statistik für sein Land nutzen.
Der Wunsch in Paris, die Wirtschaft staatlich zu dirigieren, sei inzwischen wieder übermächtig. Kerber spricht von einem aggressiven Colbertismus, der sich in den höheren Etagen der Politik ausbreite. Das mache die Entwicklung für die EU so gefährlich. Denn ähnliche Tendenzen gebe es auch in Rom – allerdings fehle es dort an der Aggressivität und Durchschlagskraft mit der Paris seine Vorstellungen verfolge. Jedoch wächst in der italienischen – seit jeher für ihren Opportunismus bekannten und berüchtigten – Politik die Bereitschaft, über den Verbleib Italiens in der Eurozone zu diskutieren, nachdem die Euro-Dividende (massiv gesunkener Zins) aufgebraucht ist und nur noch die Mühen der politischen Ebene vor Roms Regierungen liegen.
Fazit: Der politische Kurs, den Frankreichs Regierung derzeit fährt, scheint sogar durchhaltbar zu sein. Berlin mag aktuell aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke die Regeln in der Euro-Gemeinschaft diktieren. Aber auf deren konsequente Durchsetzung drängt es nicht. So bröckelt auf Dauer die Stabilitätspolitik Stück für Stück.