Die Briten entscheiden über Europas Covid-Kurs
Europas Unternehmen insbesondere des Hotel- und Tourismussektors, sollten ihre Aufmerksamkeit auf die britische Insel richten. Denn die Briten werden die Corona-Strategie auf dem Kontinent im Herbst und Winter (mit) bestimmen. Premier Boris Johnson geht voll ins politische, gesellschaftliche und konjunkturelle Risiko. Denn heute wird die britische Regierung ihre Entscheidung treffen, dass die Covid-Vorsichtsmaßnahmen eine Woche später – am 19. Juli – drastisch gelockert werden. Die Briten reden vom “Freiheitstag”.
Premier Boris Johnson appelliert an die Eigenverantwortung seiner Landsleute. Er will die positive Stimmung im Land, die sich mit der EM und trotz des verlorenen EM-Finales eingestellt hat und hält, verlängern. Man müsse lernen, mit dem Virus zu leben, unterstützt ihn der neue Gesundheitsminister Sajid Javid. Trotz stark steigender Neuinfektionen sollen die Abstandsregeln und die Maskenpflicht fallen. Nachtclubs dürfen wieder öffnen. Bei Großveranstaltungen soll es keine Platzbeschränkung mehr geben und für den Eintritt sollen kein Impf- und Testnachweis mehr nötig sein. In den Kneipen muss nicht mehr ausschließlich am Tisch serviert werden.
Warnungen von der Opposition
Experten und vor allem die politische Opposition warnen vor einer "zu frühen Öffnung". Nach den Worten von Oppositionschef Kier Starmer wird sie einen „Sommer des Chaos und der Verwirrung“ bringen. Einem Bericht der Financial Times zufolge könnten bis zu zwei Millionen Menschen in der Woche das Risiko laufen, sich mit Covid-19 entweder zu infizieren. Oder in Kontakt mit jemandem zu kommen, der Covid-positiv ist und damit gezwungen werden, in Isolation zu gehen.
In Großbritannien steigen die Infektionszahlen seit Wochen wieder kontinuierlich. Die Neuinfektionen könnten als Folge der Lockerungen auf 100.000 am Tag klettern, erklärte Javid. Der Grund dafür: die "hochansteckende" Delta-Variante. Diese ist mit 91% aller Fälle in den vergangenen Wochen in England zur dominanten Corona-Variante geworden.
Ansteckung ist nicht (schwere) Erkrankung
Die Regierung hält dagegen. Durch mehr Impfungen soll die Verbindung zwischen Ansteckung und schweren Krankheitsverlauf gebrochen werden. Dieser „Link“ sei zwar geschwächt, aber nicht komplett gebrochen, so Wissenschaftler. In der Spitze gab es im Vereinigten Königreich mit 66,8 Mio. Einwohnern im Januar 61.239 gemeldete Infektionen im 7-Tages-Durchschnitt. Aktuell sind es 31.772.
Waren im Januar noch 38.800 Patienten wegen Covid in Krankenhäusern, ging die Kurve danach steil herunter. Ende Mai waren es rund 900. Mit den höheren Ansteckungszahlen steigt die Zahl wieder etwas auf zuletzt 2.731. Intensiv betreut werden mussten zuletzt 476 (in der Spitze 4.077). Selbst wenn sich die Ansteckungszahl noch einmal verdoppeln sollte, bliebe die Anzahl der Behandlungsfälle rechnerisch dennoch weit unter den Spitzenwerten vom vorigen Winter. Johnson und die Konservativen halten dieses Risiko gemessen an den gesellschaftlichen Kosten anhaltender Beschränkungen für vertretbar.
Fazit: Der Erfolg der britischen Strategie wird deutliche Auswirkungen haben, 1. ob andere Länder folgen und 2. auf das Vertrauen in die Impfung generell und 3. auf Konjunktur und Börsen. Liegt Britanniens Premier Johnson deutlich falsch, steht ein neuer Lockdown-Winter bevor. Geht Johnsons Rechnung auf, wird auch hier die Fixierung auf die Inzidenzzahl (endlich) fallen. Das RKI hat bereits entsprechende Pläne.