Energieunabhängigkeit von Russland ist ein Irrweg
Die EU hat in der Debatte um die Zukunft der Energieversorgung einen Paradigmenwechsel vollzogen, der nicht zu akzeptablen Kosten in die Praxis umsetzbar ist - und schon gar nicht schnell. Aus der schon länger debattierten Idee, die EU unabhängiger von russischem Öl und Gas zu machen, ist in der zweiten Woche des Ukraine-Krieges das Programm geworden, künftig vollständig auf Öl und Gas aus Russland zu verzichten.
Die EU-Kommission hat am 8. März einen Plan präsentiert, der in den kommenden Monaten umgesetzt werden soll. Dabei geht es nicht mehr um größere Unabhängigkeit von Russland als Lieferant. Mittelfristig wird eine Loslösung von Russland, also der vollständige Ersatz aller Importe, angestrebt. Das Programm heißt "REPowerEU“ (Energie erneuern, ersetzen).
Energie-Unabhängigkeit ist eine teure Illusion
Die Idee, sich von russischen Gasimporten loszulösen ist kaum umsetzbar. In den vergangenen beiden Wochen haben mehrere Institutionen diese Möglichkeit analysiert. Interessant zu lesen: Während einige zu dem Schluss kommen, dass dies kurzfristig eine handhabbare Aufgabe ist, aber langfristig schwierig wird, kommen andere zu dem Ergebnis, dass die kurzfristig schwierig ist, aber langfristig lösbar. In den Medien ist schließlich zu lesen, dass der Verzicht lösbar ist.
Eine Loslösung von Russlands Energie ist aber nicht leicht. Energieimporte, 25% des europäischen Ölverbrauchs und 45% der Kohleeinfuhren kommen aus Russland, sind noch relativ leichter zu ersetzen, wenn auch mit erheblichen Kostensteigerungen für Europa verbunden.
Gastransport ist der Flaschenhals
Das Erdgas macht jedoch die größten Probleme, insbesondere der Transport. Eine Studie der nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zeigt, dass durch die Nutzung freier Kapazitäten an europäischen LNG-Terminals, mit 1.100 Twh etwa 65% der russischen Lieferungen ersetzt werden können. Das soll mit "REPowerEU“ bis Ende des Jahres erreicht werden. Durch der Nutzung außereuropäischer Terminals etwa in der Türkei könnten auch die restlichen russischen Lieferungen ersetzt werden, so die Leopoldina.
Das funktioniert aber nur dann, wenn die Nachbarstaaten nicht selbst ihre LNG-Importe ausbauen, sondern die EU unterstützen wollen. Ob genügend LNG-Tanker verfügbar sind, um den sprunghaft steigenden Bedarf Europas zu decken, ist noch immer unklar. Es ist eher unwahrscheinlich und auch die Frachtraten für solche Schiffe werden marktgerecht reagieren. Das wird auch dann so sein, wenn die Fahrten über das ganze Jahr verteilt werden, und die Gasspeicher in den Sommermonaten gefüllt werden, wie es eine neue EU-Regelung zur Mindestspeichermenge vorsieht.
Aufbau neuer Energie-Infrastruktur dauert Jahre
Erst nach Jahren kann der Aufbau einer alternativen Energie-Infrastruktur Effekte zeigen. Der Neubau der LNG-Terminals geht noch vergleichsweise schnell. Die in Brunsbüttel und Wilhelmshaven geplanten können wohl 2025 in Betrieb gehen. Sie decken zusammen aber nur 20% des deutschen Bedarfs.
Eine Beschleunigung der Energiewende (mehr Solar- und Windenergie, mehr Wärmepumpen, frühere Einführung Wasserstoff) ist auch Teil des EU-Plans. Derartige Pläne gab es in Deutschland schon viele, sie scheiterten bisher alle. Für einen schnellen Zubau der Erneuerbaren wären hohe zusätzliche Subventionen von mehreren hundert Milliarden Euro nötig. Ein weiterer Schwachpunkt des EU-Plans sind die geplanten Einsparungen beim Energieverbrauch. Sie waren im Rahmen der Energiewende schon lange vorgesehen, aber es wurden seit zwanzig Jahren wesentlich geringere Einsparungen erreicht, als vorgesehen.
Politisch ist es wichtig, gemeinsame Interessen mit Russland zu teilen
Politisch ist der Impuls verständlich, mit dem Kriegstreiber Wladimir Putin keine Geschäfte mehr machen zu wollen. Aber Russland bleibt der Nachbar der EU. Ein wirtschaftlich ruiniertes und vom Westen komplett isoliertes Russland könnte eine größere Gefahr sein, als eines, das wirtschaftliche Interessen mit dem Westen teilt. Das Land könnte mit China eine Art Achse der Autokraten bilden, um Demokratien zu bekämpfen.
Spätestens nach dem Krieg wird irgendeine Zusammenarbeit wieder nötig werden. Ein Neubeginn dürfte schwieriger werden, wenn sich die EU einmal komplett weg von dem Land orientiert hat. Langfristige politische Überlegungen sprechen daher genauso wie die wirtschaftlichen gegen eine Kündigung aller Lieferverträge mit Russland.