Mit dem Weißbuch zur EU-Reform mutiert die EU-Kommission zur Stabsstelle für die Regierungschefs. Der einstmals als politischer Führer Europas angetretene Jean-Claude Juncker stuft sich selbst zum Stichwortgeber für den Ministerrat herunter. Eigene Führungs- und Entscheidungsverantwortung beansprucht Brüssel offenbar nicht mehr. Denn Juncker packt gleich 5 verschiedene Entscheidungsvorlagen auf den Tisch.
Die Rolle des ewigen Buhmanns legt die EU-Kommission damit ab. Die Nationalstaaten und ihre Regierungschefs werden für gesamteuropäische Entscheidungen wieder stärker in die Pflicht genommen. Dafür wird es künftig an einer supranationalen Regie fehlen.
Auch wenn es inhaltlich nirgends konkret wird – Junckers Weißbuch wird Folgen haben. Es führt zu einer weiteren Schwächung der Kommission als Hüterin der Verträge
Die Diskussion über einen EU-(Euro)-Finanzminister wird in einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten obsolet
Ebenso die Diskussion über Eurobonds
sowie über eine gemeinsame Steuerbasis für den EU-Haushalt
Es wird (weiterhin) keine verbindliche Inner-EU-Flüchtlingspolitik geben
Und keine gemeinsame Außenpolitik
Ebenso wenig eine durchgreifende Reform des Agrarmarktes
Europa verzichtet auf eine gemeinsame Energie-, Verkehrs- und Industriepolitik
Und eine harte Debatte um den Haushaltsrahmen 2020 bis 2026 – der erste nach dem Brexit – steht bevor. Motto: Weniger Aufgaben für Europa, heißt weniger Geld für Brüssel.
Pragmatismus statt Einheitsträume: Das wird über kurz oder lang auch Auswirkungen auf den Euro haben. Denn der Einheitswährung geht die gemeinsame Zielsetzung verloren. Die Kommission wird als Hüterin der Verträge noch mehr an Durchsetzungskraft verlieren als jetzt schon. Die vertraglichen Grundlagen des Euro (Maastricht) erodieren somit weiter.
Fazit: Die Dynamik der Diskussion, die Juncker auslöst, ist schwer absehbar. Aber die „Verzwergung“ der EU (Sven Giegold, EU-Abgeordneter) wird die Fliehkräfte in der Gemeinschaft noch verstärken.