Europa des Stillstands
Die anstehenden Wahlen in wichtigen EU-Ländern bringen zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich.
Die anstehenden Wahlen in wichtigen Ländern (Griechenland, Italien, UK, Spanien) vergrößern die Unsicherheit in der EU. Die ohnehin zentrifugalen Kräfte in der Euro-Zone werden so noch verstärkt. Griechenland bekommt ein neues Rettungspaket. Darauf werden die Neuwahlen hinauslaufen – mit oder ohne den Wahlsieg der linken Syriza. Die Drohungen aus Berlin sind ein Offenbarungseid. Der Großteil der ca. 340 Mrd. Euro Schulden wurde inzwischen zu öffentlichen Gläubigern (EZB, Rettungsfonds) umgeschichtet. Ein Austritt aus dem Euro würde die deutschen Steuerzahler 80 Mrd. Euro kosten. Die Griechen sitzen am längeren Hebel. Statt eines „Grexit“ wird es einen weiteren Schuldenschnitt und neue Milliardenhilfen geben. „Geld gegen Reformen“ – dieses Versprechen Angela Merkels hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Italien steht vor einer Phase der politischen Instabilität. Ausgerechnet der Stabilitätsgarant Italiens, Präsident Giorgio Napolitano, tritt jetzt aus Altersgründen zurück. Damit steht Premier Matteo Renzi vor demselben Problem wie zuvor sein Kollege Antonis Samaras in Griechenland: Er muss einen neuen Präsidenten im Parlament durchsetzen, wofür er die Zustimmung Silvio Berlusconis braucht. Gelingt ihm dies nicht, könnten dem rezessionsgebeutelten Land Neuwahlen bevorstehen. Renzis Reformen wären fürs erste auf Eis gelegt. Die Unterhauswahlen im Mai in Großbritannien laufen auf eine Abstimmung pro oder contra EU-Verbleib hinaus. Um die europakritischen, rechten Ukip-Wähler zurück zu gewinnen, kündigte Premier David Cameron ein Referendum über den Verbleib des Königreichs in der EU an. Bei einem (wahrscheinlichen) Wahlsieg der Europa-Gegner meinen Beobachter, dass die Los-von-Europa-Bewegung auf der Insel, aber auch auf dem Kontinent noch kräftig Schub bekommt. Die spanische Protestpartei Podemos hat gute Aussichten, die nächsten Wahlen im Dezember zu gewinnen. Politisch steht Podemos der griechischen Syriza nahe, mit der sie die Ablehnung von Haushaltssanierung und Sozialabbau teilt. Die Zugeständnisse der Troika an Griechenland werden die Spanier genau beobachten, ebenso die Portugiesen, die im Oktober wählen. Der Druck auf die EZB wird zunehmen, mit billigem Geld weitere Zeit zu kaufen. Für eine strikte Wachstums- und Haushaltssanierungspolitik fehlt den Regierungen der Eurokrisenländer zunehmend die Rückendeckung ihrer Wähler. Aus Großbritannien schwappt sogar EU-Austrittsstimmung herüber.
Fazit: Noch werden die zentrifugalen Kräfte gebändigt. Doch ein Europa des Stillstands verspielt wertvolle Zeit. Die Stagnation verfestigt sich.