Europa verliert die Führung
Europapolitik und Innenpolitik sind kommunizierende Röhren in der Flüchtlingsfrage. Die EU-Staats- und Regierungschefs nutzen das aus – gegen den Führungsanspruch der deutschen Kanzlerin.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verliert ihren Nimbus als Europas starke Herrscherin. Das zeigt der Brüsseler Gipfel von diesem Wochenende. Die Staatschefs der 27 anderen EU-Staaten haben spätestens seit dem vergangenen Wahlwochenende „Blut geleckt“. Sie wissen: Merkel ist angeschlagen – innenpolitisch, innerparteilich. Sie braucht Erfolge in der EU-Flüchtlingspolitik, damit ihr die Stimmung im eigenen Land nicht vollends entgleitet. Je schwächer jedoch ihre Position im Inneren, desto weniger kann sie in der EU durchsetzen. Die Staatschefs in der EU sitzen somit am längeren politischen Hebel. Zwar ist Deutschland nach wie vor stärkste wirtschaftliche Kraft und wichtigster Geldgeber. Dennoch hat es Merkel geschafft, zur Bittstellerin zu werden. Und sie wird in den eigenen Reihen zunehmend als Realitätsverweigerin gesehen. Den Türkei-Deal wie geplant durchzuziehen, wird nicht funktionieren. Visafreies Reisen für Türken in die EU schon ab Sommer ist in 27 Hauptstädten nicht durchzusetzen. Mit ihrer Forderung, die Balkanroute nicht als geschlossen zu bezeichnen, hat sie sich lächerlich gemacht. Mazedonien ist für Merkel derzeit wichtiger als die Türkei. Die meisten Staatschefs wissen auch, dass Merkel noch die Wahl in ihrem Stammland Mecklenburg-Vorpommern (4.9.) bevorsteht. Hier regiert (noch) die SPD, die CDU erreichte 2011 23%. Zwar droht der SPD der Absturz auf 22% und die CDU legt zu (auf 29%). Aber die AfD könnte erneut hohe Gewinne verbuchen (16%). Die Erfolglosigkeit Merkels in der Flüchtlingskrise ist ein Erfolg für die AfD. Dies schwächt die Kanzlerin. In der Union kommt bereits neue Furcht hoch. Ohne starke Führung erodiert das letzte bisschen Haushaltsdisziplin im Euroland. Italien, Frankreich, Spanien – sie alle wollen sich vom Defizitziel des Maastrichter Vertrages mit maximal 3% Neuverschuldung endgültig verabschieden. Das rührt am Markenkern der Union. Wenn die Euroländer den Stabilitätspakt endgültig begraben, wird sich die Union anlasten müssen, die stabilitätsgewohnten Deutschen in die babylonische Gefangenschaft des Euro geführt zu haben. Er schmälert schon wegen der Nullzinsen die erhofften Rentenleistungen sichtbar Jahr für Jahr.
Fazit: Wird der Euro immer italienischer, wird das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung hier weiter schwinden. Das ist das Letzte, was die Union vor der Bundestagswahl 2017 noch braucht.