Fundamental-Opposition aus Warschau
Die polnische Regierung wird noch mindestens ein Jahr lang kräftig gegenüber Brüssel opponieren und blockieren. Offizieller Hintergrund ist weiter der Streit um die polnische Justizreform. Dieser verhindert die Auszahlung der Gelder aus dem EU-Aufbau- und Resillienzfonds. Die EU ist hier hartnäckig und knüpft die Auszahlung an eine Rücknahme der Maßnahmen. Im Juni nahm Warschau daher Reformen vor – nach Ansicht der Kritiker (zu denen auch die EU gehört), seien dieser aber nur Etikettenschwindel. Die Warschauer Regierung wiederum fühlt sich nun betrogen.
Rhetorisches Aufrüsten ein Jahr vor den Parlamentswahlen
Aber auch die im Herbst 2023 anstehenden Parlamentswahlen, dürften das Gebaren aus Warschau erklären. Bei den Wahlen droht die national-konservative Regierung unter Führung der PiS-Partei ihre Parlamentsmehrheit zu verlieren. Es verdichten sich die Anzeichen, dass sich die Oppositionsparteien zu einem pro-europäischen Bündnis unter Führung des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk zusammenschließen.
Das ist eine Bedrohung für die PiS, deren Umfragewerte durch eine der höchsten Inflationsraten Europas (15,5%) immer weiter gedrückt werden. Regierungsvertreter sprechen von einer „Putinflation“. Wirtschaftsinstitute sehen eher eine schlecht gemanagte Steuerreform und eine damit verbundene lockere Ausgabenpolitik als Ursache. Genau diese Befürchtung äußerten FUCHSBRIEFE so vor gut einem Jahr (FB vom 10.06.2021).
Fingerzeig vor allem nach Berlin und Paris
Um von dem innenpolitischen Versagen abzulenken, wettert Warschau gegen das Ausland. Die PiS-Partei stilisiert die Wahl zu einer Abstimmung über den weiteren polnischen EU-Kurs. So schrieb Premierminister Mateusz Morawiecki in einem Gastbeitrag, dass es sich bei der EU um eine aus Paris und Berlin gesteuerte Oligarchie handele. An den Energieproblemen sei maßgeblich Deutschland mit seinen Nordstream-Pipelines schuld.
PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski sagte jüngst in einem Interview, dass im Falle des Wahlsiegs die Beziehungen Polens zur EU gänzlich neu geordnet werden würden. Tusk warf Kaczynski daraufhin vor, mit der „Konsequenz und der Hartnäckigkeit eines Wahnsinnigen“ Polen aus der EU treiben zu wollen.
Größtmöglicher Druck angekündigt
Aus einer Trotzreaktion und Wahlkampfstrategie heraus, wird die polnische Regierung nun alles was in ihrer Macht steht tun, um die Arbeit der Europäischen Union zu behindern. An markigen Kampfansagen fehlt es nicht. Polen werde nun eine "Zahn um Zahn"-Politik verfolgen, so Kaczynski. Er setzt sich zudem für die Absetzung von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyens ein und sucht dafür unter den EU-Mitgliedern nun Partner. Aus dem sich abzeichnenden Wahlerfolg der Anti-EU-Parteien in Rom, dürfte eine italienisch-polnische Allianz entstehen.
Großzügiger Gebrauch vom Veto-Recht wird kommen
Polens schärfstes Schwert wird aber ihr Veto bei Einstimmigkeitsbeschlüssen sein. Das ist z.B. in Abstimmungen zu den Themenkomplexen Außen- und Sicherheitspolitik, EU-Erweiterung und Steuern und Finanzen der Fall. Eine erste Belastungsprobe sind die laufenden Haushaltsverhandlungen. Bereits vor zwei Jahren blockierte Polen im Streit um den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus die Haushaltsverhandlungen. Wird bis zum Jahreswechsel kein neuer Haushalt aufgestellt, muss die EU vorerst nur mit einem Zwölftel des vorigen Haushaltvolumens auskommen. Das strahlt direkt auf Förderprogramme aus.
Polens Einlenken bei der EU-Mindeststeuer war eng gekoppelt an die „Lösung“ im Streit um die Justizreform, die nun vom Tisch sein dürfte. Auch bei der Frage der EU-Erweiterung, etwa hinsichtlich der Staaten des Westbalkans oder der Ukraine dürfte Warschau blockieren. Ein Rückzug aus geplanten Programmen wie „Fit for 55“ oder den Gaseinsparungen ist vorstellbar. Die bei der EU beliebte Strategie sich die Zustimmung zu erkaufen, wird angesichts von Inflation und Zinswende keine Option sein. Genau das wird Warschau aber verlangen, um im Wahlkampf Erfolge vorzuzeigen.