Kraftanstrengungen
Europas Schuldendilemma wächst sich nicht aus – es wächst. Und damit auch die Wahrscheinlichkeit „unkonventioneller“ geldpolitischer Maßnahmen.
Die Schwarze Null ist noch nicht genug. Will Finanzminister Wolfgang Schäuble bis 2030 wieder auf 60% Staatsverschuldung kommen, wie im Maastricht-Vertrag vorgeschrieben, muss er die Ausgaben im Bundeshaushalt bis einschließlich 2020 nochmal um rund 3% jährlich kürzen. Das rechneten Bernd Raffelhüschen und Stefan Moog vom Forschungszentrum Generationenverträge der Uni Freiburg im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft aus. Das ist allerdings nichts gegen den Konsolidierungsbedarf Frankreichs. Paris müsste die Ausgaben im gleichen Zeitraum um jährlich rund 20% kappen. Bei Griechenland wären es noch einmal 30% – ein Ding der Unmöglichkeit. Ohne diese Kraftanstrengung landet Deutschland 2030 bei einem Schuldenstand von 79%. Das ist ähnlich dem heutigen von 77% (auf Basis der Annahmen im EU-Alterungsbericht 2012). 14 von 27 EU-Länder werden dann einen offiziell ausgewiesenen Schuldenstand von mehr als 100% erreichen. Heute sind es sechs. Spitzenreiter bleibt Griechenland, das auf 219% vom BIP kommen wird. Italien kommt auf 140%, Frankreich auf 162%. Italien gehört dennoch zu den weniger kritischen Kandidaten. Denn das Land hat keine implizite Verschuldung aus staatlichen Leistungsversprechen wie Rente, Pensionen, Gesundheit, sondern ein „implizites Guthaben“– was häufig übersehen wird. Grund: Die Einzahlungen in die Sozialsysteme sind heute höher als die daraus erwachsenden (geringen) Ansprüche. Diese Hochrechnungen sind von hoher Bedeutung für die staatlichen Investitionen und die Geldpolitik. Seit den 1960er Jahren hat der deutsche Staat (Bund, Länder, Kommunen) kontinuierlich seine Investitionen ungefähr in dem Umfang zurückgefahren, um den der Anteil von Zinsen und Tilgungen am Haushalt aufgrund des gewachsenen Schuldenstands gestiegen ist. Mittlerweile liegen die staatlichen Investitionen nur noch bei 1% vom BIP. Es steht zu erwarten, dass künftig die Zinsausgaben zulasten der Sozialausgaben gehen. Hier zeigt sich das Dilemma, in dem die EZB steckt. Sie kommt aus ihrer Nullzinspolitik nicht heraus. Denn Euro-Länder wie insbesondere Frankreich, aber auch Finnland, die Niederlande oder Spanien sind mit ihren Haushalten jetzt schon bei Minizinsen im Minus (Primärdefizit). Eine Zinserhöhung bräche ihnen das Genick. Ganz übel – ähnlich Frankreich – sieht es übrigens im Vereinigten Königreich aus.
Fazit: Wenn kein konjunkturelles Wunder geschieht, bleibt die Eurozone in ihrem Teufelskreis aus zu hoher privater und öffentlicher Verschuldung und „kaputter“ Zinspolitik noch viele Jahre gefangen.