Europa wird am 1. November mit einer alles in allem vertrauenswürdigen neuen Kommission an die Arbeit gehen. Unter den Kommissaren gibt es – wie immer – Licht und Schatten. Umso bedeutender wird damit die Strukturreform, die der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angestoßen hat. Nur noch 20 (statt 28) Fachkommissare, dafür sechs koordinierende Vizepräsidenten mit Vetorecht – das hat Charme.
Die Kritiken zur Neuorganisation fallen überwiegend positiv aus. Die Arbeitsaufträge, die Kommissionpräsident Juncker den Kommissaren detailliert übermittelt hat, bekommen selbst vom ordnungspolitischen deutschen „Wachhund“ der Kommission, dem Think-Tank der Stiftung Ordnungspolitik, CEP, überwiegend gute Noten. Abstimmungsschwierigkeiten, Reibungsverluste und gegenseitig sich widersprechende Initiativen dürfte es seltener geben als in der Vergangenheit.
Für die Wirtschaft liegen beim Ersten Vizepräsidenten, dem Holländer Frans Timmermans (Sozialdemokrat), gleich vier wichtige Arbeitsaufträge. Er soll das Programm für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau (REFIT) vorantreiben. Zudem wird er sich um die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips bei allen Arbeiten der Kommission kümmern. Außerdem soll er das Prinzip der Diskontinuität durchsetzen. Danach müssen sich Parlament und Rat innerhalb von drei Monaten darauf verständigen, welche offenen Legislativvorschläge zurückgezogen werden. Timmermans koordiniert obendrein die Arbeiten am Lobby-Register der EU.
Um Europas Digitalisierung kümmern sich nicht nur der deutsche Kommissar Günter Oettinger, sondern auch Kommissions-Vize Andrus Ansip aus Estland. Der Liberaldemokrat soll die Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung zum Abschluss bringen. Außerdem kümmert er sich auch um die Förderung privater und öffentlicher Investitionen in Breitbandnetze.
Heikel ist die Position von Vize Vladis Dombrovskis. Der christsoziale Lette ist zuständig für den Euro und den sozialen Dialog. Ihm muss künftig der französische Kommissar Pierre Moscovici als Währungskommissar Rechenschaft ablegen. Von Moscovici sagen viele, hier sei der Bock zum Gärtner gemacht worden, da er schon den französischen Haushalt nicht ins Gleichgewicht gebracht habe. Dombrovskis muss sich um die Weiterführung des Fahrplans für eine „echte Wirtschafts- und Währungsunion“ kümmern. Darin fehlen, so das CEP, bisher aber wichtige Ingredienzen wie eine Insolvenzordnung für Staaten und die Pflicht für die Banken, Staatsanleihen mit Eigenkapital zu unterlegen.
Kritisch zu sehen ist der Auftrag an die slowenische Vizin Alenka Bratusek, Europas Führungsrolle bei den Erneuerbaren Energien auszubauen. Hier wäre vor allem eine Koordinierung und Konsolidierung nötig. Es besteht die Befürchtung, dass nun noch mehr Subventionen in diesen ohnehin überfütterten Markt strömen. Vielleicht kann die Liberaldemokratin dem aber einen Riegel vorschieben.
Der Finne Jyrki Katainen wiederum soll Junckers 300-Mrd.-Investitionsprogramm mit Leben füllen. Die Aufgabenstellung des Christsozialen ist gerade in diesem Punkt reichlich schwammig. Allerdings hat er präzise Vorgaben für die Schwerpunkte der EU-Investitionspolitik: Breitbandausbau, Energienetze, Verkehrsinfrastruktur, Bildung, Forschung, Innovationen sowie Erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Fazit: Junckers Vorgaben an „seine“ Kommissare und Vizepräsidenten sind erstaunlich konkret. Das Gute ist: Wirklich Hanebüchenes findet sich nicht darunter. Werden sie von der Kommission einigermaßen umgesetzt, könnte Europa in den nächsten Jahren wirtschaftlich ein gutes Stück vorankommen.